Der Pastor und der Regenwurm

■ Zeitgemäße Betrachtungen über Zeit, Unzeit, Vögel(n) und den Aufgang der Sonne

Es ist einfach so, daß nur die Sonntag morgens in der Kirche sitzen, die nichts Besseres zu tun haben. Hat meine Umfrage zu dem Problem ergeben, warum die Leute heute nicht in die Kirche gehen. Das Bessere besteht einfach darin, im Bett liegen zu bleiben, sich dort zwei Eier und Toast servieren zu lassen, notfalls selber zu servieren und all das zu tun, wozu man in der Woche immer zu wenig oder, wie mein Informant durchblicken ließ, gar nicht kommt. Ich habe das auf sich beruhen lassen, mich aber seitdem auf der sonntagmorgendlichen Kirchenbank verteufelt schlecht weggekommen gefühlt. Habe auch gestern morgen in der kecktürmigen kleinen Dorfkirche mitten in Walle über Abhilfe gegrübelt und kann deshalb den ersten Teil von Pastor Dornhöfers Auslegung von 1.Mose 8, 1-12 nicht mehr so recht erinnern. Aber wohl, daß er ein patentes Pastormensch zu sein scheint, so ein richtiger rauschebärtiger Geschichtenerzähler. Kein penetrant Frommer, rät er aber doch dazu, die vielen alttestamentarischen Zeitangaben ernstzunehmen: wie sich die Arche am 7. Tage des 7. Monats auf dem Berge Ararat niederließ, die Wasser aber bis zum 10. Monat weiter sanken, und Noah nach 40 Tagen das Fenster der Arche öffnete und den Raben ausfliegen läßt, und die Taube nach weiteren 7 Tagen und, als die keine Land findet, nach abermals 7 Tagen da kommt sie mit dem Blatt vom Ölbaum wieder - und ein drittes Mal, und da kommt sie gar nicht mehr. Und es ist Zeit für einen neuen Anfang.

Für den, sagt der Rauschebart, muß man sich Zeit lassen, sehen, wann er da ist. So wie Katja, das Kind, das er an diesem Morgen tauft, auch die Zeit von 10 Monden bis zum Herauskommen gehabt habe, genau wie die Leute in Noahs Arche, neun Monate seien nämlich in Wahrheit zehn Monde.

Wunderbarerweise nimmt er auch die Chose mit Rabe und Taube wörtlich. Auf die Tiere sollen wir hören, die können ja manchmal mehr, der Noah selber kann ja nicht zum Fenster rausfliegen und nachsehen, was jetzt ist, Rabe und Taube aber wohl. Und z.B. der Regenwurm im Kompost in seinem kleinen Pastorengarten sei ein so kluges Tier. Wenn der da sei, sei klar: alles in Ordnung, wenn nicht, aber nicht. Und zum Schluß hat uns dann der Organist gar noch „Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang“ als vierstimmigen Kanon singen lassen, und in der Straßenbahn - immer noch und noch summend - ist mir eingefallen, was am Kirchgang falsch ist. Es ist der Termin, die ihn zur Vögel-Ersatzhandlung prädestiniert.

Zur Zeit der Reformation mag das nicht geschadet haben, aber inzwischen wirkt die unwillkürliche Sonderung der Böcke von den Schafen irgendwie unzeitgemäß.

Uta Stolle