„Kaum Leute, die sich für eine Idee begeistern“

■ Lebendiger Auftakt zur kulturpolitischen Veranstaltungsreihe „Lebendige Stadt“

Die unfruchtbare, aber gut subventionierte Kulturbehörde auflösen, dafür Kultur wuchern lassen, damit hatte der Hausundallesmeister der bremer shakespeare company, Norbert Kentrup, Anfang November die „Lebendige Stadt“ eingegongt, einen Veranstaltungszyklus zur Kulturpolitik in Bremen. Gestern war es soweit. Mehr als zweihundert kulturelle Produzentinnen, Konsumentinnen, Interessierte, von Freiraum bis Modernes, von grüner MdBBü-Trüpel bis Cafe -grünem Stint, von Hochschulen bis

dekapistischen Kulturschaf fenden, von mäzenatischen Steuerberatern bis frustrierten Jungschauspielern und vielen, die ich einfach nicht kannte, hatten sich im Theater am Leibnizplatz versammelt. Alle angezogen von der Idee, an die sattsam exerzierten Riten der nörgelnden, nur-stellen-baggernden Fixierung auf die Kulturbehörde etwas anderes zu setzen. „Außerhalb der Finanzschiene zu denken,“ umriß Kentrup noch einmal die Idee, „was wir eigentlich wirklich wollen. Jedes zweite Haus ein Theater, an

jeder Ampel ein Orchester. Wollen wir das?“ Zu überlegen, ob man Risikoloses wie den „Nackten Wahnsinn“ am Goethetheater oder die „Komödie der Irrungen“ der shakespeare company subventioneren muß, - „ich meine nicht,“ - Riskantes aber wohl und hoch.

Wenn sich bei den geplanten 20 Foren herausstellen sollte, daß es tatsächlich Vorstellungen gibt und daß die „ganze Sache nicht ein kalter Furz ist“, wie ja auch möglich sei, dann sollen kulturelle Produzenten und Konsumenten

„den Kulturentwicklungsplan 2000 schreiben, an den sich Kulturpolitiker zu halten haben.“ Nicht heißer Sonntagswind soll entstehen, sondern konkrete Prüfsteine für die Bürgerschaftswahl '91 und ein öffentliches Lernprogramm: Die Matineen sollen dazu taugen, sich außerhalb des eigenen Bereichs kundig zu machen und für den neuen Senator unterhalb seiner Behörde, solange sie sich noch der Nicht -Vergesellschaftung ( Auflösung) erfreut.

Die Matineen, die erste zum Theater am 18. Februar, beginnen jeweils an einem Sonntag um 12 Uhr mittags, („High Noon“) mit einer zweistündigen Bestandsaufnahme, kulminieren in einer Podiumsdiskussion, gleiten über in Austausch mit dem Publikum, könnten sich schließlich ergießen in ein breites gemeinsames Essen. Aber jede Gruppe, die ein Thema vorbereitet, kann auch anders akzentuieren.

Mit einem Alptraum begann Renate Kösling die Vorstellung ihres Bereichs Altenkultur: Sie sitzt allein mit Senator Franke auf dem Podium und der Ex-Senator, da jetzt Rentner, bestreitet ihr die Zuständigkeit, ist aber nicht bereit, ihr seine eigenen Vorstellungen und Träume zum Thema mitzuteilen. Genau wie zu Dienstzeiten. Den Ausschluß der Alten, v.a. der vielen alleinlebenden Frauen, die sich zur Zeit der Veranstaltungskultur, abends, nicht mehr auf die Straße trauen, obwohl sie den gleichen Alltag mit uns leben, will sie thematisieren.

Peter Schaefers Referat über alles, was ER, der bildende Künstler nicht hat, „keine Arbeitsräume, keine Ausstellungsräume, keine Ankaufsetats“ verdarben den Appetit auf kommendes Gehabtes; Detlef Michelers weckte ihn mit seinen Mockereien über „Fordern und Fördern“ in der Literatur - („Stipendien beantragen, die ihnen ein Leben ohne Literatur ermöglichen“) - entschieden wieder auf.

Und Gönna Pezely, Lagerhaus Schildstraße, brachte für ihren Bereich Kinderkultur auf den Punkt, was sie nicht will, was aber MacDonald, die Industrie und die Hypo München („keiner macht so gute Seminare für Schülerzeitungsredakteure wie sie“) sponsern, wollen und können: „relativ attraktive, beziehungslose kulturelle Angebote.“ Zu denen außerdem im Bereich der Kinderkultur fast immer die Mütter ihr Lieben chauffieren. Die Behörde andererseits fördere nur „pädagogisch Wertvolles“, sei aber ansonstens unzugänglich dafür, daß es um irgendwas anders als Geld gehe. Überhaupt: „Ich treffe kaum Leute, die sich für eine Idee begeistern.“ Die hofft sie, auf den High Noon -Foren zu finden. Der Anfang ist gemacht.

Uta Stolle

Auskünfte, Anlaufstelle für Interessenten weiterer Foren : A. Köpke 500333