TANZ DEN MAGGIE

■ Chumbawamba und The Ex im K.O.B.

Gute alte englische Tradition war es, die Schere aufzumachen, die herrschenden Geräusche zu akzeptieren und quasi durch's Hintertürchen Unterbewußtsein mit den Texten ins Bewußtsein von Menschen zu dringen, die sonst abgeschreckt von der Musik sich nie mit den Zeilen beschäftigt hätten. Die letzten großen Vertreter dieser Richtung waren die Housemartins, die es mit Zeilen wie „Don't shoot someone tomorrow/ That you can shoot today“ in die Top Ten schafften. Wir Kontinentaleuropäer waren dazu nie in der Lage, schlossen die Schere im Kopf und dachten, daß wenn die Revolte schon blutig sein muß, dann sollte die Musik dazu erst recht stumpf und brutal sein. (Vielleicht einzige Ausnahme: Die Deutsch-Amerikanische Freundschaft mit „Tanz den Mussolini“.)

Auch wenn mein oder dein Englisch zu schlecht ist, um die Texte zu verstehen, Chumbawamba haben vorgesorgt mit Rhythmus und eingängigen Slogans („I'd never gave up/ I'd never gave up/ I'd crawl in the mud/ But I'd never gave up“), die gar lieblich von drei wunderschönen Stimmen auch mal a capella intoniert werden, unterstützt von einem schmächtigen, kahlrasierten Männchen, das in immer neuen Verkleidungen (als KZ-Wächter, Conferencier, etc.) auftaucht und für marktschreierische Deklamationen zuständig ist. Wer von den fünf Männern und zwei Frauen nicht gerade verkleidet ist, trägt das gleiche Thatcher-T-Shirt mit der Aufschrift „This beast must die“.

Chumbawamba lassen die Schere sperrangelweit offen und begeben sich bewußt in die Tücken der Postmoderne, legen über ihren alles beherrschenden Beat uralte Volks- und Kinderliedmelodien, Mainstream-Gesänge, Funk-Gitarren, Hip Hop, afrikanische Harmonien und reißen Löcher mit wavig -kurzen, metallischen Einwürfen. Als Zugabe gibt es ein a -capella-Stück, das hinter seiner Süßlichkeit Zeilen verbirgt, zu denen keine deutsche Punk-Band fähig wäre: „We don't rest/ 'Till the last Nazi died“.

Danach schloß sich die so wundersam geöffnete Schere wieder, denn The Ex sind aus Holland und demonstrierten die oben angesprochene Unfähigkeit. Harte Metall-Arbeiter und Worte-Hervorwürger, die eine Identität innerhalb ihres Ghettos erfüllen und so auch ihre Funktion haben. Hier gab es alle Sorten von Zahnfleisch-Marter-Gitarren, die man sich denken kann, ein Soundgebilde, das in seiner unumstößlichen Wucht Trommelfelle eindrückt, wo es sie trifft. Ein Effekt, der durchaus seinen Reiz haben kann. Und so schüttelten auch einige in den inzwischen schon ziemlich gelichteten Reihen verbissen die Köpfe, während die vier Kurzgeschorenen auf der Bühne wie die Derwische versuchten, Rumpelstilzchen in den Schatten zu stellen, aber leider Charme und rhythmische Raffinesse ihrer Platten vermissen ließen. Agit-Pop ist nicht gleich Agit-Rock und an diesem Abend war die Entscheidung nicht schwierig.

Thomas Winkler