Altbekanntes von „jungen“ Reformern

Hundert „junge GenossInnen in der SED-PDS“ verloren sich beim Republiktreffen im alten ZK-Walhalla / Ohne Gregor Gysi wäre die Versammlung eingeschlafen / Frust über Modrow / Bekenntnisse zum „Ergreifen der Initiative“  ■  Aus Ost-Berlin Petra Bornhöft

Lange haben die GenossInnen auf ihren Stühlen im Seitenschiff des ZK-Plenarsaales auf Gregor Gysi gewartet. Er platzt in die Frust-Debatte über Modrows Vaterlands-Plan hinein - Genosse Bauarbeiter meldet, 30 von 36 Mitgliedern der Grundorganisation seien „nach diesem Verrat an der DDR ausgetreten“ - und muntert die Versammlung mit Grüßen von Gorbatschow auf. „Ich habe ihm gestern erzählt, was ihr so basisdemokratisch alles macht. Dort, wo sich Bezirksvorstände auflösen, seid Ihr plötzlich da, organisiert das neu, besser und radikaler. Und da hat er gesagt, ich soll euch grüßen.“

Muß das gut tun! Sofort lockern sich stockernste Mienen, erfüllt begeisterter Beifall den gardinenverhängten Raum. Aber als Gysi versucht, den ZuhörerInnen die deutsche Einheit als „objektiven historischen Prozeß“ zu verklickern, da legt sich erneut so manche Stirn in Falten. Gysi enteilt im Sauseschritt. So entgeht ihm, wie wenig radikal und wie furchtbar alt die hundert Anwesenden der „Arbeitsgemeinschaft junger GenossInnen in der SED-PDS“ sich am Samstag bei ihrem ersten „Republiktreffen“ gebärden.

Das fängt vor Betreten des Gebäudes an. Wie gewohnt täuscht eine etwa zehn Meter lange rote Tafel „Erneuerung - wer, wenn nicht wir?“ über dem Haupteingang eine bedeutsame und riesige Versammlung des „Republiktreffens“ vor. Trotzig vermerken die Initiatoren: „Wir mußten das erst durchsetzen, bislang durften wir auch nur den Seiteneingang benutzen.“ Noch beherbergt das Gebäude Parteipräsidium, Apparat, die Berliner Bezirksorganisation - und die „Jungen“.

„Wir müssen den Laden

zusammenhalten“

Deren beklatschte „Entweihung des Heiligtums“ hat Grenzen. Die „jungen GenossInnen“ bescheiden sich (mangels Masse) mit dem Seitenschiff oder „Foyer rechts“. Dem Aussehen nach ist kaum einer unter 25, und sicher auch nicht ohne Parteierfahrung. Routiniert versieht Katrin ihr Geschäft als „Tagungsleiterin“ - kein Wunder, sie war „1.FDJ-Sekretär Berlin-Mitte“. Das bleibt bei der Vorstellung unerwähnt. Ebenso die früheren Funktionen der anderen Gründer der Arbeitsgemeinschaft (AG), die von Delegierten des SED -Parteitages im Dezember ins Leben gerufen wurde. Derjenige, der das wirklich Neue der AG - das große „I“ bei den „GenossInnen“ im Namen - erläutert, war früher FDJ -Kultursekretär in Berlin. Und Richard S. (35), der behauptet: „Wir sind ziemlich unbelastet. Junge, moderne Politik ist nur durch junge Leute zu machen“, hat jahrelang die FDJ an der Humboldt-Uni geleitet.

Die Tatsache, daß politisch kein einziger neuer Gedanke zur Diskussion steht, es vielmehr nur um die Wahl von Bezirkssprechern und einer Koordinationsgruppe geht, erklärt Richard so: „Wir müssen den Laden zusammenhalten und wieder auf die Beine bringen. Dann können wir inhaltlich reden.“ Täglich schwindet die Mitgliederzahl, „bricht uns eine Flanke weg“, sagt Tagungsleiterin Katrin. Der Weg der Partei aus den Betrieben in die „Wohnparteiorganisationen“ (WPO) vergrößert die Löcher in der Genossenkartei. So sind viele der angereisten „Einzelkämpfer“ froh, „hier endlich mal wieder Genossen aus meiner Stadt zu treffen“. Man tauscht Adressen aus.

Eine rundliche Potsdamerin gerät ins Schwärmen: „Es macht Freude, Genossen, euch zu sehen, vor allem die aus dem Süden. Wir wissen ja, wie schwer ihr es habt. Einzelkämpfer, wendet euch an den Kreisvorsitzenden. Das ist mein dringendstes Anliegen.“ Oh Vater! Daß aus den Bezirken Cottbus und Leipzig niemand gekommen ist, versteht die Tagungsleiterin nicht, „die waren sonst immer da“. Mindestens zehnmal beschwört einer der Initiatoren: „Wir müssen selbst handeln und unsere Vorstellungen in die Partei tragen.“

Welche Vorstellungen? Eine schnell zusammengeschusterte, mündlich vorgetragene „Erklärung als Resultat des Republiktreffens“ gegen Anschluß an die BRD und für den „Erhalt des sozialen Netzes“ und die Gründung eines Mieterschutzbundes soll als „Diskussionsgrundlage“ für die weiteren Beratungen später publiziert werden.

Viel ist von einem „Linksbündnis“ die Rede, gemeint sind allen Ernstes - die neue KPD, die Nelken und die Vereinigte Linke. Andere Namen fallen auch auf Nachfrage nicht. Wie auch? Politische Auseinandersetzungen mit der verfemten PDS finden nicht mehr statt. Und die „Jungen“ der Partei verharren ängstlich in Konservativismus.

Gegen eine Quotierung

Der zeigt sich zum Beispiel in DDR-üblicher Frauenfeindlichkeit. Selbstverständlich lehnen die „GenossInnen“ eine Quotierung in Parteigremien zugunsten einer „Beachtung von Sach- und Fachkompetenz“ ab, wie es eine Frankfurterin formuliert. Dagegen bemüht sich der Hauptstadtbezirk, bei den Vorschlägen für VolkskammerkandidatInnen den Schein zu wahren. „Frauen an die Front“, fordern die Männer. Kandidatin Nr.1 lehnt ab, weil „mein Mann auf der Liste steht“, Kandidatin Nr.2 will ihr jetziges Abgeordnetenmandat nicht niederlegen und hat wegen Studiums keine Zeit, Kandidatin Nr.3 ist gerade neu in der Partei, und Kandidatin Nr.4 kann als Staatsanwältin nicht Parlamentarierin werden. Thema erledigt. Die Männer werden's richten. Während der Diskussion kursiert eine „Zuschauerumfrage des DDR-Fernsehens“ vom 26.1., derzufolge die PDS fünf Prozent der Stimmen erzielen wird. Thema restlos erledigt.

Öffentlich unerwähnt bleibt an diesem Sonntag die menschenunwürdige Behandlung von Erich Honecker, obgleich viele ehrlich empört wirken. Doch „wenn wir uns jetzt öffentlich dafür einsetzen würden, daß die Partei ihn zum Beispiel in einem Gästehaus unterbringt, dann wäre es ganz aus für uns“, begründet eine „Junge“ die uralte Parteiräson. Ein gequälter, verschämter Blick streift die Fragerin, aber die Stimme bleibt resolut.

Natürlich wollen jetzt alle nach Gysis richtungsweisendem Referat zur Rettung der europäischen Linken furchtbar aktiv werden, auf ihren Delegiertenkonferenzen, in den „Territorien“, in Kommissionen des Parteivorstandes und bei der Wahlvorbereitung. Eine schöne Erinnerung nehmen die GenossInnen mit: Die Aufnahmeanträge von zwei neuen Parteimitgliedern hat Gysi persönlich unterzeichnet. So neu ist dieser Akt indes nicht. Im saarländischen Wahlkampf gehörte dieses Ritual zu jeder SPD- und CDU-Veranstaltung. Mit einem Unterschied: Lafontaine und Töpfer brachten es niemals fertig, eine neue Genossin zu küssen. Gysi schon.