Die große Angst vor dem Zentralismus

Ökologisch orientierte Basisgruppen aus der gesamten DDR schlossen sich im Klubhaus der Chemischen Werke Buna unter Wehen zur Grünen Liga zusammen / Die Wahlen am 18. März spielten keine Rolle in der Diskussion / Dachverband nach außen, Netzwerk nach innen  ■  Aus Schkopau Gerd Rosenkranz

„Oh, den Punkt hab‘ ich echt vergessen.“ Über zehn Stunden ist das Gründungstreffen der „Grünen Liga“ alt, als eine Delegierte die Gretchenfrage nach der Haltung des eben aus der Taufe gehobenen Zusammenschlusses zur Volkskammerwahl am 18. März doch noch stellt. Diskussionsleiterin Heidrun Rottenbach, die die Liga künftig auch am Runden Tisch in Berlin vertreten wird, findet rasch ihre Fassung wieder. Sie läßt abstimmen. Mit drei Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen verabschiedet sich der Rest der zu dieser späten Stunde verbliebenen Ökoaktivisten auch formal von dem Anspruch, durch Teilnahme an der entscheidenden Wahl DDR -weit die Richtung mitzubestimmen.

Der Klärungs- und Trennungsprozeß über die politischen Ansätze in der sich stürmisch entwickelnden Ökologiebewegung scheint weiter fortgeschritten, als es sich selbst die Vorbereitungsgruppe des Gründungskongresses im Vorfeld des Treffens hat träumen lassen: Wer direkten Einfluß auf die nationale und internationale Entwicklung des Landes nehmen will, hat sich der Grünen Partei angeschlossen und ist gleich zu Hause geblieben. Wer weiter vor allem vor Ort wirken will, kam nach Schkopau ins Klubhaus des VEB Chemische Werke Buna - um das Schlimmste zu verhindern: Das ist für die zentralismusgeschädigten Ökobasisgrüppler ein mit Kompetenzen ausgestattetes und in Ost-Berlin ansässiges zentrales Gremium mit entsprechender Infrastruktur und Zugriff auf die (künftige) Kasse.

Lange schienen die vom Präsidiumspodest fast ängstlich ausgesandten Beschwörungsformeln, man möge um der ökologischen Sache willen nicht im Streit über die Details der Satzung versinken, völlig überflüssig. Mit der Kompromißformulierung „nach außen als Dachverband, nach innen als Netzwerk“ waren sich „Basisgrüppler“ und „Zentralisten“ schnell über Struktur und Arbeitsweise des zu gründenden Gebildes einig geworden. Ähnlich schien sich zunächst die Frage des „zentralen Sprecherrates“ im Nichts aufzulösen. Den Rat soll es nun als ein von der VertreterInnenversammlung gewähltes Gremium zwar geben, den Status eines „Organs“ der Liga wollten die Delegierten ihm jedoch nicht zubilligen. So soll der Stellenwert des Sprecherrats (etwas blauäugig) auf den eines rein ausführenden Gremiums begrenzt bleiben.

Als es ums Geld ging, hörte der Spaß schließlich endgültig auf. Einige verlangten den Verzicht auf ein zentrales Konto, andere wollten die Verwaltung und Verteilung auch nicht für eine Übergangszeit dem Sprecherrat überlassen. Letztere setzen sich zunächst durch. Die Verfügungsgewalt über die erhoffte Spendenlawine wurde einem Finanzrat übertragen, der jedoch nach einer hektischen Endphase der Versammlung nicht mehr gewählt werden konnte. Nun wird ihn, bis zur nächsten VertreterInnenversammlung am 7. April, doch der Sprecherrat bestimmen.

Sympathische Unbeholfenheit und basisdemokratische Ansprüche mündeten fast im Chaos, als die Mehrheit der 247 Delegierten längst vor den Ausdünstungen der nahen Giftküche die Flucht ergriffen hatte: Das zentrale Sprechergremium aus je einem/r VertreterIn der fünfzehn DDR-Bezirke wurde praktisch per Zuruf besetzt. Und kaum hatte Heidrun Rottenbach zum Schluß der Satzungsdiskussion - es war genau 20.13 Uhr - unter dem Jubel des Saals die Gründung der Grünen Liga bekanntgegeben, da starteten die Wortführer des Anti-Zentralismus, vornehmlich aus dem hauptstadtgeschädigten Süden der Republik, schon den ersten Frontalangriff auf das Hauptquartier. Das seit Monaten arbeitende Ligabüro in der Ostberliner Friedrichstraße sollte geschlossen und durch fünfzehn gleichberechtigte Büros in den Bezirken ersetzt werden. Der Versuch wurde schließlich nach einer wenig freundlichen Diskussion vorläufig abgeschmettert - bis zur nächsten Sitzung im April.

Am Morgen hatte alles recht vielversprechend begonnen. Mathias Platzek von der Umweltgruppe Argus in Potsdam erinnerte die Delegierten an „den nicht unwesentlichen Beitrag der Umweltgruppen an der Revolution im Herbst 1989“ und forderte den Schulterschluß mit der europäischen und westdeutschen Ökologiebewegung. Die war in Schkopau mit allem vertreten, was Rang und Namen hat, vom BUND -Vorsitzenden Hubert Weinzierl bis zur Europaabgeordneten der Grünen, Eva Quistorp: Über zwanzig Grußadressen konnten die Delegierten beklatschen. Und ebenfalls weit über zwanzig Gruppen - von der Initiative zur Rettung des Spreewaldes bis zu der zum „Umbau der Chemieindustrie“ - stellten sich vor. Unter dem Beifall der Delegierten lieferte DDR-Heimkehrer Rudolf Bahro der Liga den theoretischen Überbau und warnte vor der Übernahme des Freiheitsbegriffs des Kapitalismus, der darauf beruhe „immer mehr Kilogramm und Kilowatt durch die industrielle Mühle zu müllern“.

Am Ende konzentriert sich der Widerspruch zwischen dem basisdemokratischen Anspruch und der Realität des Umbruchs in der DDR symbolträchtig in der Person von Klaus Schlüter. Heute wird der bescheidene Geophysiker mit Schwerpunkten vor allem im Bereich des Naturschutzes und der Stadtökologie als Vertreter der Grünen Liga in Hans Modrows Kabinett der „Nationalen Verantwortung“ vereidigt. „Rein vom Prinzip her kann das gar nicht sein“, meint eine Delegierte, ehe sie Klaus Schlüter als künftigem Minister wie fast alle anderen das Vertrauen ausspricht. Und der Neuminister selbst: „Die Grüne Liga besetzt zum ersten und wahrscheinlich zum letzten Mal einen Ministerposten.“