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ISDN: Schnüffelei per Telefon

Bundesweites Treffen von BeraterInnen, AnwältInnen und JournalistInnen in Dortmund sieht Anonymität beim Telefonieren in Gefahr / Kritik am „Integrierten Sprach- und Datennetz“ (ISDN) der Bundespost  ■  Von Barbara Debus

Dortmund (taz) - Das „Kapital“, mit dem nicht nur TelefonseelsorgerInnen wuchern, heißt „Anonymität“. „Dieses „Kapital“ sehen nun nicht nur TelefonseelsorgerInnen, sondern auch Eheberatungsstellen, Aids-Hilfen oder Drogenberatungen in Gefahr, wenn die Deutsche Bundespost Telekom das „Integrierte Sprach- und Datennetz“ (ISDN“) wie geplant einführt. Am Samstag trafen sich deshalb in Dortmund erstmals bundesweit 40 MitarbeiterInnen aus verschiedenen Beratungsstellen, Telefonseelsorgen, Rechtsanwaltskanzleien und Zeitungsredaktionen. Gemeinsames Thema: „Vertrauensschutz und Berufsgeheimnis im Telefonverkehr“.

Bis zum Jahr 2013 will die Deutsche Bundespost Telekom das Telefonnetz umrüsten: Nach und nach werden die 6.000 Ortsvermittlungsstellen auf Computer umgestellt, „digitalisiert“ und dann „ISDN- fähig“ gemacht. Das bedeutet, daß dann u.a. Telefon, PC und Telex an der gleichen Leitung hängen können. Das bedeutet aber nach der bisherigen Planung auch, daß die Bundespost sämtliche „Verbindungsdaten“, wer-mit-wem- wann-und-wielange -telefoniert oder -gefaxt hat, zentral in einem „Gebührenrechenzentrum“ in Offenburg speichert und bis zu 100 Tagen aufbewahrt.

Von den 6.000 bundesdeutschen Ortsvermittlungsstellen sind gegenwärtig erst 20 „ISDN-fähig“. Die „aktuelle Betroffenheit“, so der Initiator des Dortmunder Treffens, Prof.Herbert Kubicek vom Bremer Institut für Informations und Kommunikationsökologie, sei zwar „noch sehr gering“. Doch gelte es „vorzubeugen“, um frühzeitig auf die Technikgestaltung Einfluß zu nehmen.

Die ISDN-KritikerInnen konzentrierten sich auf zwei Aspekte der neuen Technologie: auf das Datenspeichern und auf den dann möglichen detallierten „Einzelgebührennachweis“.

Das Datenspeichern kann etwa für eine Aids-Beratungsstelle zur Folge haben, daß sich künftig die Staatsanwaltschaft bei Ermittlungen gegen HIV-positive Menschen Aufstellungen über deren Telefonate aus den zurückliegenden Monaten besorgt. Dabei könnten sie z.B. herausfinden: „Aha, der hat mit der Aids-Beratung Kaiserslautern telefoniert und wußte ergo schon bei seinem letzten ungeschützten Geschlechtsverkehr, daß er HIV-positiv ist.“ Die Aids-BeraterInnen, die am Samstag diese Szenarien durchdachten, fühlten sich bereits wegen „Beihilfe zur Körperverletzung mit einem Bein im Gefängnis“.

Um solche Rückschlüsse auf einzelne Gesprächspartner zu vermeiden, forderten die TeilnehmerInnen des Treffens von Bundesminister Schwarz-Schilling,„daß nur Ortsnetzkennzahlen gespeichert werden“.

Zweiter Problemkreis war der „Einzelgebührennachweis“. Mit diesem Service bietet die Bundespost allen „digitalisierten“ TeilnehmerInnen eine detaillierte Aufstellung des „Wer-hat -mit-wem-wann-und-wielange-telefoniert“ an. Doch dadurch bleibt das vertrauliche Telefonat eines Familienmitglieds mit einer Drogenberatungsstelle, mit einer Telefonseelsorge oder einem Scheidungsanwalt nicht länger geheim. In der Schweiz und in Frankreich haben DatenschützerInnen deshalb durchgesetzt, daß auf dem Einzelgebührennachweis die Zielnumer nur verkürzt ausgedruckt ist.

Auch hat die französische Datenschutzkommission dafür gesorgt, daß EG-weit die ISDN-TeilnehmerInnenn per Knopfdruck auf ihren neuen ISDN-Telefonapparaten selbst entscheiden können, ob ihre Nummer beim Angerufenen auf einem „Display“ erscheint oder anonym bleibt.

Den BeraterInnen reicht dieser „Knopfdruck“ zur Wahrung der Anonymität am Telefon jedoch nicht aus. Vor allem Telefonseelsorger wollen dem Minister wegen seines Datenhungers mit dem Gerichtsweg drohen.

Weitere Informationen über ISDN bei: Herbert Kubicek, Uni Bremen, Fachbereich Informatik.

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