„Nicht die mit der Kalaschnikow“

Gespräch mit Johann Kresnik über sein neues choreographisches Theater „Ulrike Meinhof“ / „Im Prinzip nicht zu fassen“  ■  Hierhin bitte

den Mannkopf mit

dem gestreiften Hemd

Johann Kresnik

taz: Was für eine Ulrike Meinhof wollen Sie zeigen?

Johann Kresnik: Es ist ein Stück über ein deutsches Schicksal, was aus der Sicht von Ulrike Meinhof in Stammheim erzählt wird. Ich bin kein Historiker und kein Geschichtenerzähler auf der Bühne, sondern ich zeige, was vielleicht in ihr vorgegangen sein könnte. Und ich zeige drei Ulrike Meinhofs: Die alte, dann die zaudernde, die nachdenkliche und die, die zur Tat greift, die den Kampf aufgreift, den Körper in den Kampf wirft. Die sich nicht mit dem Strick umbringt bei mir, sondern die macht sich selbst stumm, die schneidet sich die Zunge ab. Unheimlich kopflastig

Sie richten sich nach der Biographie von Mario Krebs, die '88 bei rororo erschienen ist?

Zum Teil. Der Mario hat mich beraten. Es beginnt damit, daß die 58jährige Ulrike Meinhof auf die Welt kommt und sieht: Es hat sich nichts verändert. Dann kommen Rückblenden, mit ihren Eltern, Röhl, dann der Bruch, als sie sich für Arbeiter und Arbeiterinnen

interessiert, Spurensuche betreibt, das geht bis in ihre Fantasiewelt, wie sie sich die Deutschen vorstellt, die Amerikaner, Vietnam.

Eignet sich Ulrike Meinhof überhaupt für das choreographische Theater?

Sie ist schon spröder als die Sylvia Plath zum Beispiel, die ja eher eine Chaotin war, steckt den Kopf in den Gasherd, blüht wieder auf, schreibt fantasievolle Gedichte - die Meinhof ist unheimlich kopflastig, hat sehr viel geschrieben, wenn man nur mal die ganzen Do

kumente aus Stammheim liest. Heiner Müller hat gesagt, man kann kein Schauspiel aus Ulrike Meinhof machen, weil das nur Worte, Worte, Worte wären, man kann es im Prinzip nur im Tanztheater machen.

Was für eine Entwicklung durchläuft so ein Stück in der Vorbereitung?

Ein Beispiel: Wir hatten vor, am Schluß eine Gerichtsverhandlung, ein Tribunal zu machen. Das geht nicht, weil es so realistisch ist, und ich nichts damit machen kann, daß der Baader im

Gerichtssaal eine Zigarre raucht und Arschlöcher schreit. Ich will ja am Schluß was ganz anderes zeigen. Ich hab‘ z.B. über unglaublich krumme Wege die Kassette von Heino aufgetrieben, wo er alle Strophen vom Deutschlandlied singt, die kann man nicht so kaufen, und die hat der Serge Weber, der die Musik geschrieben hat, dann zum Schluß eingebaut. Wir wollten zeigen, was man über Deutschland eigentlich denkt, das große Deutschland kommt ja auf uns zu. Und wird beängstigend werden. Es ist genau

das, was die Meinhof befürchtet hat, in ihrer Konkret -Zeit, daß der Sozialismus und Kommunismus ausradiert wird durch eine westliche Marktwirtschaft, einen modernen Imperialismus, wo Fabriken gebaut werden, und die Leute arbeiten dann für Großdeutschland. Und reich werden natürlich nur die Deutschen. Und das soll in dem Schluß drin sein.

Was war für Sie besonders schwierig an der Meinhof?

Daß sie im Prinzip nicht zu fassen ist. Sie findet alle Männer Chauvi und alle Scheiße und alle doof und

alle geil, den Röhl fand sie entsetzlich und hat ihn geheiratet und zwei Kinder mit ihm gemacht, den Baader fand sie entsetzlich. Sie ist eine sehr widersprüchliche Person. Das Schlimme ist, daß die meisten einen vollkommen falschen Eindruck von ihr haben. Ich bin kein RAF-Befürworter, aber ich will, daß die Meinhof in einer schöneren Erinnerung bleibt. Die meisten glauben, ich zeig‘ die Meinhof mit der Kalaschnikow, obwohl sie die nie in der Hand g'habt hat. Sie hat zwar immer Waffen umhergeschleppt, aber sie hat ja Waffen verabscheut. Und wenn ich mit Jugendlichen spreche, sagen die alle: oh, die Ulrike Meinhof, bababababababa, die mit der Kalaschnikow. Wo stünde die

Meinhof heute?

Welche Ihrer drei Ulrike Meinhofs ist Ihnen am wichtigsten?

Die alte Ulrike Meinhof, wenn sie heute wiederkommen würde. Ich würde ein Jahr meines Lebens geben, zu sehen, wo stünde die Meinhof heute, wo wäre sie als Journalistin, wäre sie auf dem linken Flügel der SPD oder vielleicht grün. Aber am spannendsten ist, daß die Meinhof heute immer noch ein Tabu -Thema ist. Wir haben verschiedene Meinhof-Porträts für's Prorammheft vom Spiegel abdrucken wollen, da kam jetzt ein totales Verbot vom Spiegel. Und der Gottfried Helnwein hat mir ein Plakat gemalt und wir wollten Sponsoren dafür finden, weil das Theater kein Geld hat - und die Geschäftsleute haben gesagt: für's nächste Kresnik-Stück gerne 7000-10000 DM sofort in die Hand, aber nicht für die Meinhof. Fragen: clak

Buchtip: Mario Krebs „Ulrike Meinhof“, rororo aktuell, DM 12.80.