Zucker für die sexuelle Utopie

■ Benoite Groults „Salz auf unserer Haut“ in die Kassenhalle der Sparkasse am Brill gestreut

Diese Nacht die Lektüre des Salz auf unserer Haut nachzuholen, war irgendwie eine dankbarere Aufgabe, als jetzt die Lesung seiner Autorin am Montag abend in der Kassenhalle der Sparkasse am Brill zu beschreiben. Wegen der ungewöhnlichen Kopfschmerzen, die mich heute verfolgen auch, aber nicht nur. Wahrscheinlich ist das Buch für eine öffentliche Lesung im flutenden Licht unter dem goldverstrebten Milchglasgewölbe vor den vielen, vielen Frauen, die schon nächtens das Salz aus den Seiten über die hinreißende Sünde Dideldum geleckt hatten, - einfach nicht geeignet. Diese literarische Wunschproduktion von dem

Mann Gouvain, mit dem es immer passiert, der nicht nett zu ihr ist, sondern sich von ihr umwerfen läßt, „foudroyer par mes charmes“, wer wollte sie schon teilen mit all den vielen hier.

Zwei Meter unter dem goldbuchstabiert schwebenden Schild Kundenberatung: Benoite Groult, eigenangeblich siebzigjährig, nicht ecrivain, sondern ecrivenne, in zweiter Ehe einen Mann, der der Richtige ist, drei Töchter, Enkelinnen, schmal, freundlich, nach anerkannt intelligenten Sachbüchern und Romanen Autorin dieses Bestsellers mit der einzigen Aufgabe, „den auf der Erde meistpraktizierten Akt als etwas Hinreißendes zu schil

dern.“ Ein lockendes Risiko, wie sie in der Einleitung weiter schreibt, gerade weil sie weiß, daß ihr Lächerlichkeit auflauert, daß meine erlesenen Gefühle der Banalität nicht entkommen können und daß jedes Wort nur darauf wartet, micht zu verraten...„Pentration“? Klingt ungemein juristisch... „Unzucht treiben“ gehört in den Dunstkreis von Beichstuhl und Sünde. Und „Kopulation“ klingt nach Mühsal, „Begattung“ klingt tierisch, „schlafen mit“ ist langweilig und „vögeln hört sich nach Schnellverfahren an.“ Und: „Das Vokabular der weiblichen Lust erweist sich, sogar bei den größten Autoren, als bestürzend armselig.„

Die einleitende Vorstellung des Buches als über die subjektiven Möglichkeiten hinausgehende „lustvolle Utopie“ mag treffen. Aber die von Sonja Müller-Nowoselsky Müller ausgesuchten und in deutsch gelesenen Textbruchstücke lassen zwar die auf Distanz bleibende Erzählhaltung der Groult sehen, das wohl, aber das Gestückel sabotiert den Sog des Buches, der auf Wiederholung und Steigerung setzt. Der Verdacht, daß mehr versprochen als gehalten wurde, schwebt im Raum. Die hinten können ohnehin nichts verstehen. Die Übersetzerin Sonja Novoselsky liest so zart, aber auch so beteiligt, daß man immer denkt, es ist ihr eige

ner Text. Die gleiche ausschließende Privatheit beim Dolmetschen des anschließenden Frage-Antwortspiels mit dem Publikum.

Das, d.h. die Frauen, wollen aber auch Sachen wissen, juiii. Ob der bretonische Fischer, mit dem es die pariser Intellektuelle George rund um den Erdball treibt, der Förster ist, von dem die deutschen Frauen träumen, d.h. ob Sex und Intellekt nicht zusammengehen und die Geschichte mit einem Studienrat nicht möglich wäre. Daß die Leidenschaft, die große, die sie beschreiben will, nicht dort lokalisiert ist, wo Mann und Frau den Alltag teilen, sagt Benoite Groult.

Uta Stolle