Wie geht man im Schlachthof?

■ Auf einer Probe zu Johann Kresniks „Ulrike Meinhof“ / „Klar, kalt, einfach“ und mit Fleischerhaken

Jetzt „gehen wie im Schlachthof“. Wie geht man im Schlachthof? Fantasie, meine Herren, oder macht „Hochspringen dumm?“ Magnesium, wer hat Magnesium? Wo sind die Gummischürzen? Da sind die Gummischürzen. Aber ohne Druckknöpfe!! Gummischürzen ab. Fauteuil! Fauteuil bitte in die Mitte! Fauteuil? Sessel! Ruft die Assistentin, ach der. Kann mal jemand ein Tischchen holen!! Ein Tischchen, ein Tischchen. Ein Handstreich für ein Tischchen. So kommkommkomm, keine Witze bitte!

Die Probe von Johann Kresniks neuem Tanztheater „Ulrike Meinhof“ ist für Außensitzende ein sisyphusiges Unterfangen

-vergleichbar vielleicht mit dieser Art Geduldsspiel, in dem mittels akribischen Wackelns Kügelchen in Löchlein gebracht werden müssen. Zum Verrücktwerden. Weil: Wer kann schon zielgerichtet wackeln? Als Choreo graph muß mann das können, nicht direkt wackeln, Tanzgöttin bewahre, aber TänzerInnen in solche entschlossene Bahnen lenken, die eigentlich erst im choreographischen Kopf vorgegeben sind. Und so steht ein gutes Dutzend Menschen auf der Bühne und wartet darauf, daß ein ideendurchtriebenes Rumpelstilzchen unten im Parkett - das ist Kresnik, dünn beleuchtet vom Klemmlämpchen am mobilen Regiepult -, die Richtung angibt. Geprobt wird zum ersten Mal die Schluß -Szene.

Ulrike Meinhof und die RAF, zwangsernährt, kurz vor ihrem Tod. Regine Fritschi soll sich an einer Seite des die Bühne einzingelnden Gitterdreiecks entlanghangeln. Stammheim als Schlachthof-Gefängnis, Menschen als Menschen-Fleisch, die Strebe ist scharf, wo ist das Magnesium, sie wird sich die Hände aufreißen. Die Requisiteurin bringt Heimwerkerhandschuhe. Die Requisiteurin bringt Gummihandschuhe, das geht nicht, das geht nicht. Insgesamt vielleicht zehn Anläufe, sie will es schaffen, mir tun längst die Handflächen weh, „laß es sein“, gebietet Kresnik, keine Blasen bitte!

Jetzt vier Männer vor: Abgang bitte wie ein Mann, nein, nicht so, sooo, verdammt nochmal, dahin, daaahin, jetzt ihr zwei, nein, ihr zwei, nach vorne, rechtsrum, nein linksrum, jaisdasdennsokompliziert?? Das ist zum auf-die-Bühne-kommen: Soo, sooo gehen vier Mann im Schlachthof ab wie einer, Gleichschritt Marsch, und ruhigruhigruhig, wir haben jetzt Z e i t, wir gehen ruhig aus der einen Situation raus und in die nächste rein und nehmen dabei Sofas mit und Vitrinen und Fleischerhaken. Also nochmal. Wo ist das Magnesium, scheiß auf das Magnesium, wir gehen jetzt weiter zu der Szene, wo die Meinhof zwangsernährt wird.

Regine Fritschi liegt auf der Vitrine und wird durch einen Trichter abgefüllt: „Bitte noch etwas stärker würgen!“ Der Körper als Instrument. Links führen Männer die anderen Gefangenen ab. Nicht so schnell. „Ein klarer, kalter, kühler, einfacher Auftritt“, bewußtes Ende, nichts Unüberlegtes mehr, Überbetontes, Brutales, geschunden wird genug. Getanzt wird nicht. Sie gehen in den Tod, freiwillig. Zahnradartiges, schlafwandlerisches Ineinandergreifen von Bild-Übergängen, bewußtes Ende. Jetzt Musik bitte.

Serge Weber, in Bremen lebender Komponist, Assistent von Mandozzi, hat die Musik geschrieben, gibt leise Anweisung an die Technik, Musik ab. Dissonant flirren Heuschreckenschwärme-in-großer-Hitze-Geigen, endzeitig rachegöttliche Donnerschläge treiben an, plötzlich Heino mit dem ganzen Deutschlandlied. „Zu dick?“ fragt Kresnik laut, aber sich selbst, das muß er noch überdenken, ob das gut ist, aber schließlich ist Wiedervereinigungs-Dämmerung. Und davor graut einem wie Kresnik. Claudia Kohlhas