Halbherzige Glasnost auf glazialer Endmoräne

■ Besuch auf der Deponie Schönberg: DDR braucht Platz für eigenen Abfall, will jedoch nicht auf Giftmüll-Devisen verzichten

Fernverkehrsstraße F 104, vier Kilometer westlich der Stadt Schönberg, zwei Kilometer östlich von Selmsdorf: Eine baumbestandene Schlagloch-Straße im Nochgrenzgebiet von „Deutschland - einig Vaterland“, die gesamtdeutsche Giftmülltransport

route Nummer eins. Links auf den Äckern Riesenschwärme von Krähen und in allen Wipfeln der Eichenallee hängt Plastik. Kafu-, Tengelmann- und Aldi-Tüten weisen den Weg zur Einfahrt der Deponie Schönberg.

„So kann es nicht weitergehen“, sagt Hajo Stormer. „Wir müssen lernen, Deponieressourcen schonend zu behandeln, so wie Wasser-oder Energieressourcen. Ich kann nur jedem raten, die Sachen im Supermarkt gleich auszupacken und dazulassen. Nur so wird sich etwas ändern.“ Der Mann, der so radikal grünes Gedankengut vertritt, ist stellvertretender Direktor der Deponie Schönberg und im Umgang mit westdeutschen Journalisten durchaus gewandt. Was Wunder, führt er doch seit dem 9. November bisweilen vier Journalisten am Tag über die verrufene Müllkippe. Bei soviel Neugier kann die Devise nur Glasnost lauten. Motto: Wir zeigen Ihnen selbstverständlich alles, denn es gibt nichts zu verbergen.

Auf neun Seiten hat Müllkritiker Stormer aufgelistet, warum

die Riesendeponie mit dem schlechten Ruf nicht nur kein Problem, sondern gar ein Betrieb ist, der europaweit mustergültig ist. Fazit seiner schriftlichen Argumentation: „Die Deponie bietet alle Voraussetzungen für eine schadlose Beseitigung von Hausmüll, Industriemüll und ausgewählten Sonderabfallstoffen mit hohem Standard und stellt damit eine geeignete Alternative zu anderen Formen der Abfallbeseitigung dar.“ Stormer mündlich: „Von der Natur her ist der ideale Standort gegeben.“ Seine Begründung: Die Deponie befinde sich in einer „glazialen Endmoränenlandschaft“. Bei Bohrungen habe sich ein Geschiebemergel

untergrund bis zu einer Mächtigkeit von 290 Metern gefunden. „Diese geologischen Verhältnisse und die technologischen Vorbereitung gewährleisten, daß es zu keinem Eintrag von Schadstoffen in das Grund-und Oberflächenwasser kommen kann.“

Über „tausende von Jahren“, so heißt es in der Selbstbelobigung würden Boden, Luft und Wasser „nicht negativ beeinflußt.“ Dafür soll auch eine etwa einen Meter dicke, undurchlässige Lehm/Ton-Schicht sorgen, die auf den Deponiegrund aufgebracht wird. Auf diese Abdichtung wird dann noch einmal eine 2,5 Millimeter dicke Kunststoffbahn aufgebracht. Zu dieser zu

sätzlichen Abdichtung, der eine Lebensdauer von 100 Jahren nachgesagt wird, fühlten sich die DDR-Behörden allerdings erst 1986 nach anhaltender Kritik bundesdeutscher Umweltschützer und der Stadt Lübeck genötigt. Bei dem ersten Bauabschnitt, der über fünf Jahre mit Gift fast aller Art verfüllt wurde, schützt keinerlei Folie den Boden und das Grundwasser vor allmählichem Durchsickern. Eine für die Zukunft unkalkulierbare Altlast.

Schutz verspricht sich der Deponiechef von einer zweifachen Kontrolle der giftigen Fracht. Zunächst muß der Giftmülltransporteur seine Ladung bei der INTRAC Handelsgesellschaft, Schlack-Golodkowskis ehemaliger Devisenbeschaffungs-GmbH, anmelden. Mit dem Antrag muß eine Abfallprobe abgegeben werden, die in einem Labor in Wismar überprüft wird. Die Kontrolle, ob auch drin ist, was drauf steht, findet dann vor Ort statt. In einem kleinen Häuschen, bemühen sich acht Chemiker, die Fracht der täglich bis 250 Laster zu kontrollieren. Mit einem Eisendöschen an einem langen Holzstiel werden Proben gezogen. Dann wird der Fahrer eingewiesen, wo er seine Ladung abzukippen hat. Motto: Saures zu Saurem, Lauge zu Lauge. Nur wenn sich bei den flüchtigen Stichproben herausstellt, daß of

fensichtlich falsch deklariert wurde, wird genauer hingeguckt. Auf die Frage nach seiner Trefferquote zuckt auch der bemühte Chemiker mit den Achseln und verweist auf 30 bis 50 Zurückweisungen, die pro Jahr ausgesprochen würden. Plumpp auch in Schönberg unbeliebt

Immerhin: Auch für ihn ist die Kritik an Schönberg, „manchmal hilfreich“. So hat er jetzt einen nagelneuen Gaschromatographen bekommen, einen von dreien, die es in der DDR überhaupt nur gibt. Zu der Bremer Giftmülldrehscheibe, der Firma Plumpp Gewässerschutz, die in Bremen 61 verschiedene Giftarten in fünf Töpfen mischt, ehe sie das Gebräu nach Schönberg fährt, mag sich der Mann im weißen Kittel nicht direkt äußern. „Das ist ja schließlich ein Kunde.“ Dann, ganz diplomatisch, so viel: „Uns würde es die Kontrolle wesentlich erleichtern, wenn die Stoffe nicht schon vermischt hier ankämen.“

Seit der Wende hat es in Schönberg zwei Demonstrationen gegeben. Jetzt fordern auch DDR-Umweltschützer: „Schluß mit dem Giftmüllkohlonialismus.“ Für Deponie-Chef Hajo Stormer ist diese Forderung „ein Wahnsinn.“ Schönberg würde schließlich verstärkt für den DDR-Müll gebraucht, da andere, wesentlich

schlechtere Deponien geschlossen und saniert würden. Aber sollte nicht gerade dann der Giftmüllimport aus der Bundesrepublik gestoppt werden? Stormer: „Die Technik ist nur mit Devisen zu bezahlen. Und wo sollen die dann herkommen.“ Technik, die zum Beispiel gerade für die Reinigung des Deponiesickerwassers angeschafft wurde. In großen Klärteichen wird das über eine Drainageanlage aus dem Deponiekörper gespülte Wasser wiederaufbereitet. Vor der Qualität der westlichen Technologie ist Stormer so überzeugt, daß er denBesuchern einen Becher des gereinigten Wassers anbietet.

Mit solchen Argumenten würde die Deponieleitung gerne auch DDR-Umweltschützern ihre Zweifel nehmen. Doch die bestehen zunächst lieber auf der völligen Offenlegung aller Akten. Dagegen hat auch Stormer grundsätzlich nichts auszusetzen. „Wir haben die Empfehlung gegeben, mehr zu veröffentlichen“, meint er. Aber die Kompetenz dazu liegt beim Umweltministerium in Berlin und beim Kreis Grevesmühlen. Doch daß eine Veröffentlichung aller Verträge und Untersuchungsergebnisse die Deponie aus den Schlagzeilen holen würde, glaubt auch Stormer nicht so recht. „Der Laie weiß damit doch nichts anzufangen.“

Vier Kilometer weiter über die

von den Giftmülltransportern kaputtgefahrene Straße wohnt einer dieser an Akteneinsicht höchst interessierten Laien, der Maschinenbauingenieur Christian Arndt. Hier von Schönberg aus verfolgt er die Entwicklung der Deponie schon seit Jahren mit Unbehagen. Doch vor der Wende war Kritik ausgeschlossen und außerdem: Was da auf der Deponie vor sich ging, konnte er nur über das Westfernsehen verfolgen. Die Deponie selbst war tabu, weil gesperrtes Grenzgebiet.Inzwischen verlangen die Schönberger Umweltschützer, bei der letzten Versammlung waren 150 anwesend, in Übereinstimmung mit den Rat der Stadt detaillierter Auskunft und den „baldmöglichsten Stopp“ der Müllimporte. Doch auf eine offizielle Antwort aus Berlin wird in Schönberg seit acht Wochen vergeblich gewartet. Solange er sich nicht selbst über die tatsächlichen Zustände informiert hat, glaubt Christian Andert den staatlichen Beruhigungsfloskeln nicht. Da erinnert er sich lieber daran, wie 1988 plötzlich sechs Kühe, die neben der Deponie weideten, tot im Gras lagen. Die Kadaver wurden zwar in Rostock untersucht, doch das Ergebnis nie bekannt. Oder an die Deponiebrände im vergangenen Jahr, als es tagelang nicht gelang zu löschen und beißender Rauch über dem Ort hing. Oder an den LKW, der in Schönberg abgestellt wurde, und dessen giftgrüne Ladung das Blech des Hängers bereits angefressen hatte.

Und daß, was nicht zu sehen oder riechen ist, beunruhigt den Schönberger Umweltschützer noch viel mehr. Denn die Stadt liegt auf einer Trinkwasserblase, die vom Ihlenberg, dem Standort der Deponie, gespeist wird. „Das wird zwar von der Hygiene gemessen, aber was untersucht wird, und was nicht, erfahren wir nicht.“

Die Befürchtungen bekommen durch die aktuelle Entwicklung weiteren Nährboden. Denn die Deponie Schöneiche bei Berlin, so ist es beschlossen, wird dichtgemacht. Hier sind die Umweltschäden noch augenfälliger geworden, als in Schönberg. Wohin aber mit dem bislang dort abgekippten Gift? Andert: „Wenn diese Laster künftig durch Schönberg rollen, dann wird hier blockiert.“

Holger Bruns-Kösters