Bürokratisch verordnetes Chaos

■ Behindertenorganisationen fordern neues Landespflegegeld-Gesetz / Antrag in der Bürgerschaft

„Eine trockene Materie“, warnt Norbert Breeder vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, „und wenn sie die Zusammenhänge nicht verstehen, ist das nur ein weiteres Indiz dafür, wie schwer der Gesetzesdschungel zu durchschauen ist.“ So die Begrüßung im Verein Selbstbestimmt leben, wo es mal wieder darum geht, wie schwer es behinderte BremerInnnen haben, an ihr Geld für lebensnotwendige Hilfen zu kommen.

Aufgrund des in Bremen einmaligen Landespflegegeldgesetzes haben Behinderte ohnehin schon mit zwei verschiedenen Behörden bei der Beantragung von Pflegegeld zu tun: Unabhängig vom Einkommen oder Vermögen können Schwerstbehinderte 750 Mark monatlich zur Deckung von Pflegekosten und sogenannten

Mehraufwendungen erhalten. Weil ihnen aber aufgrund des Bundessozialhilfegesetzes bis zu 856 Mark zustehen, muß die Differenz beim Sozialamt beantragt werden. Bei den Behörden muß die AntragstellerIn die Ansprüche erstmal durchfechten. Thomas Streit, zuständig für die Rechtsberatung beim Verein Selbstbestimmt leben: „Die Sozialbehörde berät unzureichend und hat auch kein Interesse daran. Viele kommen erst durch unsere Beratung an die ihnen zustehenden Gelder.“ Norbert Breeger vom DPWV ergänzt: „Davon haben bisher alle Leistungsträger profitiert.“

Ab 1. 1. 91 kommt durch die Gesundheitsreform noch eine weitere Zuständigkeit hinzu: die Krankenkassen. Wenn die AntragstellerIn lange genug (?) ver

sichert war, hat sie Anspruch auf häusliche Pflegehilfe bis zu 750 Mark und Geldleistungen zur eigenständigen Sicherung der Pflege bis zu 400 Mark. Damit eine pflegende Angehörige mal Urlaub machen kann, gibts zur Bezahlung einer Ersatzkraft einmal pro Jahr 1.800 Mark. Alles erst ab 1. 1. 91. Wenn alle anspruchsberechtigten Schwerstbehinderten ihre Krankenkassen um Pflegegeld ersuchen, wird der Senator für Jugend und Soziales rund 5 Millionen Mark einspa ren.

Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, die Landesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte“ e.V. und der Verein „Selbstbestimmt leben“ e.V. wollen sich jetzt dafür einzusetzen, daß dieses Geld nicht einfach in die Staatskasse zurückfließt.

Die Grünen werden am 7. Februar in der Bürgerschaft die Einrichtung eines Ausschusses beantragen, der über die Novellierung des Landespflegegeldgesetzes beraten soll. Die Behinderten selbst und ihre Organisationen sollen daran beteiligt werden, damit nicht an den Betroffenen vorbeiberaten wird. Denn auch die Liste der inhaltlichen Kritik an den bestehenden Gesetzen ist lang: Familienangehörige sollen künftig durch bezahlte Pflegehilfen stärker entlastet werden. Geistig und psychisch Behinderte sollen in die Pflegegeldregelung einbezogen werden. Ein pauschales Pflegegeld soll Mehraufwendungen ausreichend abdecken. Ambulante Hilfen sollen in Zukunft vorgezogen werden, auch dann, wenn sie teurer sind als der Heimaufenthalt.

Beate Ramm