Im Bikini vor die Jury

■ Gaststätte Lindeneck in Niederschönhausen: Die HO, Betriebsteil WtB, organisierte eine Mißwahl-Vorauswahl

Beim Festumzug anläßlich der 750-Jahr-Feier war's, als eine 17jährige Oberschülerin auf einem gewaltigen Plüschbären als „Miß Berlin“ durch Ost-Berlin paradierte. Von Gottes, sprich Honeckers Gnaden war damit die jahrzehntelang als bürgerliche Unkultur verketzerte Mißwahl bei uns sozusagen öffentlich rehabilitiert worden.

In der Folgezeit überzog die DDR eine Mißwahl-Schwemme. Kein Stadtjubiläum, kein Volksfest, keine Betriebsfeier, auf der nicht eine „Miß Wilhelm-Pieck-Stadt Guben“ oder eine „Miß Kantine“ gewählt wurde. Etwas zurück ging der Boom erst nach den Kommunalwahlen in der DDR am 7.Mai letzten Jahres, auch weil in den Medien das Wort Mißwahl dann nicht mehr offiziell genannt werden durfte.

Nun ist es wieder soweit in der DDR, die allgemeine Freizügigkeit rief auch die Anhänger schwülstig-schwitziger Rotlicht-Shows auf den Plan. Diesmal ist der Organisator der Miß-Berlin-Wahl die verstaatlichte Handelsfirma HO, Betriebsteil WtB, was auf DDR-Deutsch „Waren des täglichen Bedarfs“ (nomen est omen?) bedeutet. Die Vorauswahl, in der sich die vermeintlich Schönsten Berlins - natürlich in knappen Badeanzügen und Bikinis - den Blicken einer HO-Jury stellen mußten, fand am Wochenende in der Gaststätte „Lindeneck“ in Niederschönhausen statt. Etwa 30 hübsche Damen zwischen 19 und 30 waren erschienen, um sich „nach Ansehnlichkeit, Bewegung und Ästhetik“ (Originalton Jury -Vorsitzender Hoffmann) einstufen zu lassen. Top 15 werden sich nun in die Hände eines Tanzpädagogen begeben, um bei der eigentlichen Wahl am 3.März professioneller über den Schausteg zu wandeln. Dann kommt übrigens der zweite Sponsor der HO hinzu - ein westdeutscher Badebekleidungshersteller.

Peter Berger