Verführer beginnen nett

■ Ivan Pokorny probt „Liebe Jelena Sergejewna“ von Ljudmila Rasumowskaja bei MOKS

„Liebe Jelena Sergejewna“, sagt plötzlich jemand von rechts. Das weht einen in der Turnhalle vom Alten Gymnasium doch seltsam an - als wäre ich aus Versehen in einer russischen Schule gelandet. Ich bin aber richtig in der Turnhalle vom Alten Gymnasium, wo noch vor zwei Jahren Heranwachsende für's Leben Turnen lernten. Jetzt beleben eine Handvoll Schauspieler statt Bock und Reck eine kleine Bühne, weil das MOKS-Theater - „Modelltheater Künstler und Schüler“ - hier vorübergehend Quartier hat nehmen „dürfen“. (Wir erinnern uns: 1976 als Modellversuch gestartet, '82 vom Land Bremen „übernommen“, wurde MOKS

'85 wegen bremischen Stellenstops dem Goethe-Theater an-und ins Alte Gymnasium ausgegliedert, vorher aus der Weserburg geworfen und mit dem theatralischen Versprechen vertröstet, eventuell bis September im AG bleiben und eventuell Ende '90 ins neue Goethetheater einziehen zu dürfen. Wir sind gespannt.)

Um in die Turnhalle zu kommen, müssen garagenartige Tore hochgewuchtet werden. Dahinter Schwärze. Das ist schon wieder seltsam und vor allem dunkel. Aber was soll man machen mit einer Turnhalle voll Kunst statt Kunststückchen?

Jedenfalls dräut, relativ riesig und schwarz drapiert, der Hallenkasten. Klein unten die Bühne, Ivan Pokorny probt mit den MOKS-Schauspielern eben jene „Liebe Jelena Sergejewna“, ein russisches Theaterstück von Ljudmila Rasumowskaja. Es geht um vier Schüler, die eine schlechte Prüfung geschrieben haben, und die nun ihre Lehrerin Jelena Sergejewna zu Hause besuchen, um an ihre Arbeiten im Safe zu kommen.

Ivan Pokorny, freier, mit Berufsverbot belegter Regisseur aus Prag, aus der CSSR emigriert und seit anderthalb Jahren mit seiner Familie in Bremen, vermittelt auf liebevoll hibbelige Art und Weise zwischen Text und Schauspielern, hier bitte noch etwas mehr, hier etwas weniger ausdrücken, die Bühne ist übersät mit Kleinteiligem. „Es geht darum, wie die vier ihre Lehrerin dazu zwingen wollen, mit allen möglichen Mitteln, zum Schluß mit Gewalt, den Schlüssel rauszurücken“, erklärt Ivan Pokorny das Stück, das 1980

schon vor der Premiere in Leningrad verboten wurde. Warum? „Es ist die Auseinandersetzung zwischen zwei Welten, zwei Generationen, die Lehrerin steht für die Prinzipien des Humanismus und des Idealismus, und auf der anderen Seite sind die Schüler mit einem 'Rädelsführer‘, deren Credo ist, Klamotten als Passierschein zum guten Leben zu haben und die sagen: Von Idealen kann man nicht leben.“

Verstehen 15jährige Schüler diese doch etwas pathetische Geschichte? „Es ist so“, sagt Ivan, „wenn man in eine Grenzsituation kommt und seine Überzeugung dennoch vertritt, obwohl man sie verraten soll, dann ist das durchaus pathetisch. Natürlich ist die Lehrerin eher eine Papierfigur, aber die Schüler können zum Nachdenken kommen. Es könnte eine Warnung sein vor Demagogie und zeigen, daß Verführer als nette Kerle beginnen, gut aussehen, mit guten Mieren, intelli

gent, wie aus diesem Menschen ein Vieh wird, nur weil er eine eigene Ideologie verfolgt. Eine kleine Warnung davor kann in Deutschland nicht schaden. Schüler heute sind sehr intelligent und empfindlich für diese Sachen, auch wenn sie nachmittags Rambo ankucken.“

Ivan Pokorny hat an der Theaterakademie in Prag Schauspiel studiert und in seinem ersten Engagement gleich Regie geführt. Das erste Theater, das nach '68 entstehen durfte, das Theater im Zelt, hat er gegründet, „weil ich wie ein Verrückter anderthalb Jahre hinterhergelaufen bin hinter den Leuten, um eine Erlaubnis zu bekommen, ohne mich zu prostituieren.“ Was ist am Regisseur gut? „Ich mag dieses Vermitteln zwischen dem Autor und den Schauspielern, die Quintessenz des Stückes zu finden. Du hast etwas gelesen, und plötzlich lebt das!“ clak

Premiere am 14.2., 19.30 Uhr.