ZK-Plenum der KPdSU um einen Tag verlängert

Kritik an Gorbatschow von Konservativen und Radikalen / Gegenspieler Ligatschow ist ebenfalls für die Streichung der Führungsrolle der Partei / Organisatoren der Großdemonstration am Sonntag werfen Medien Desinformationspolitik vor / „Noch mächtigere“ Demo für 25.2. angekündigt  ■  Aus Moskau Barbara Kerneck

Das Plenum des ZK der KPdSU setzte gestern seine Sitzung in Moskau fort. Dem Gremium liegt ein Programmentwurf zur Beschlußfassung vor, der neben der Aufhebung des Führungsanspruches der KP auch Forderungen nach weitgehenden innerparteilichen Reformen erhebt. Die Sitzung sollte eigentlich gestern mit der Abstimmung über die Abschaffung der führenden Rolle der Partei enden. Gennadi Gerassimow, Sprecher des Außenministeriums, deutete am Nachmittag jedoch an, daß das Plenum auch noch am Mittwoch tagen werde. Im Verlaufe der Debatte, zu der die Presse nicht zugelassen ist, sollen Gorbatschows Vorschläge von Vertretern des konservativen und radikalen Flügels scharf attackiert worden sein.

Die Rede Ligatschows, des konservativen Gegenspielers Gorbatschows, sei sehr kämpferisch gewesen und hätte im Plenum starken Applaus geerntet. Wie alle Redner solle allerdings auch er die Streichung der Führungsrolle befürwortet haben. Beobachter sehen darin einen Erfolg Gorbatschows.

Daß in Moskau am Sonntag letzten Schätzungen zufolge eine halbe Million Menschen demonstrierte, hat der demokratischen Opposition in der UdSSR und ihrem Selbstbewußtsein zum Aufschwung verholfen. Die wichtigsten an dieser Manifestation beteiligten Gruppen wollen an ihrem gesellschaftlichen Gegenkonzept weiterarbeiten und noch in diesem Monat ein Verhandlungspaket für einen Runden Tisch vorlegen. Gleichzeitig kristallisiert sich die Empörung weiter Kreise über die offizielle Informationspolitik der Regierung im Protest gegen die am Montag in der 'Prawda‘ abgedruckte 'Tass'-Meldung über das Ereignis.

Als „Beleidigung hunderttausender von Moskauern“ bezeichnete Frau Boganzewa vom Klub „Moskovskaja Tribuna“ diese Meldung auf einer Pressekonferenz des Organisationskomitees zur Durchführung der Demonstration: „Viele Bürger hatten sich zum ersten Mal in ihrem Leben entschlossen, auf die Straße zu gehen. Tass hat ihnen allen in die Seele gespuckt“. Das Komitee forderte ein Dementi der Meldung, den Rücktritt des 'Tass'-Generaldirektors Kraftschenko und die Ausstrahlung der vollen Videoaufzeichnung des Meetings vom 4.Februar über das zentrale Fernsehen. Die Vorbereitung zu dem Massenmeeting, heißt es in der 'Prawda‘, hätte auf dem Hintergrund „alberner Gerüchte“ über Pogrome in nächster Zeit stattgefunden: „dabei scheint es doch, daß der Kampf gegen Pogrome damit beginnt, daß man auch selbst nicht zu Pogromen aufruft. Leider hatten einige der Redner diese Wahrheit vergessen“. „Aufrufe zur Gewalt“ seien laut geworden und Vergleiche, daß die Anzahl der Anwesenden zum „Sturm auf den Winterpalast oder die Lubjanka“ genüge.

Tatsächlich sprach der Historiker Jurij Affanasjew im von der Tribühne auf dem Manege-Platz von einer „Zweiten Februarrevolution“. „Wir sind nicht unbedeutende Schräubchen, sondern die Kraft, die aufgerufen ist, Rußland zur Wiedergeburt zu verhelfen, ja vielleicht sogar einem neuen Unionsstaat.“ Und kündigte für den 25.Februar eine noch mächtigere Demonstration über den gesamten Moskauer „Gartenring“ an.

Zunächst einmal wird aber vor dem 'Tass'-Gebäude protestiert, und zwar schon heute, am 7.Februar. Inzwischen haben sich Redakteure zentraler und Moskauer Zeitungen darangemacht, die Schande der Kollegen von der offiziellen Agentur auszuwetzen - ohne allerdings direkt auf die 'Prawda'-Meldung Bezug zu nehmen. 'Vetschernaja Moskva‘, 'Iswestija‘ und 'Komsomolskaja Prawda‘ berichteten am Dienstag wohlwollend über die Sonntagsdemo und unterstrichen deren friedlichen und demokratischen Charakter. Auf die Frage, wie wohl Präsident und Generalsekretär Gorbatschow selbst zu diesem Unterfangen stand, erwähnte Frau Boganzewa auf der Pressekonferenz der Organisatoren ein Anzeichen für dessen - wie es hieß - „Nichtwiderstand“.