SZENE SAMPLING

■ „Blanco check“ - eine Veranstaltungsreihe im Ostberliner JoJo-Klub

Heute abend findet im Ostberliner Szeneklub JoJo der siebte „blanco check“ statt. Seit eineinhalb Jahren werden unter diesem Titel alle zwei Monate ein aus Livemusik unterschiedlicher Stilrichtungen und Beiträgen mit und über Musik zusammengestelltes Programm präsentiert. Für heute ist ein Liveauftritt der Leipziger Synthie-Sample-Band „Six Bons“ angekündigt. Außerdem soll eine Videodokumentation vorgestellt werden, die die Frankfurter Experimentalrockband „Cassiber“ bei Bandaufnahmen in der Ostberliner Akademie der Künste zeigt. Aufbaulieder - Variationen eines alten Themas heißt ein darauffolgender Vortrag darüber, daß bis in die 80er Jahre hinein immer wieder neue Versionen bekannter DDR-Politschlager aufgenommen wurden, wobei die Melodie unverändert blieb, während die Instrumentierung stetig modernisiert und der Text dem Lauf der DDR-Geschichte angepaßt wurde. Zuletzt soll es noch ein Gespräch mit Wolfgang Rindfleisch, Dramaturg der Hörspielabteilung des DDR-Rundfunks, geben. Rindfleich produzierte unter anderem mit der Musik der „Einstürzenden Neubauten“ unterlegte Hörstücke von Heiner Müller.

Die Idee zu ihrer Veranstaltungsreihe kam den Musikern Susanne Bines und Uwe Baumgartner schon im Sommer 1988. Damals kümmerten sich die DDR-Kulturpolitiker noch intensiv um die Amateurmusikszene: auch nicht professionelle Bands mußten, um die Erlaubnis zu bekommen, öffentlich aufzutreten, vor einer staatlichen Kommission aufspielen und sich „einstufen“ lassen. Mit dem „blanco check“ wollten Bines und Baumgartner ein Podium für nicht geprüfte Bands und Projekte, die vielleicht nie in Bands aufgehen würden, schaffen. So sollten auch anerkannte MusikerInnen, die durch ihre Mitgliedschaft in einer Band oder die Anstellung an einer Musikinstitution auf eine bestimmte Musikrichtung festgelegt waren, zu „Cross-over„-Projekten animiert werden. „Blanco“, ohne vorherige Prüfung, sollten die in Übungsräumen, Wohnzimmern oder den Köpfen der MusikerInnen entstandenen Neuformationen Gelegenheit zum Öffentlichkeitstest bekommen.

Im Oktober 1989 gelang es den beiden MusikaktivistInnen ihre Idee zu verwirklichen, damals noch im Club 29. Den Auftritt nicht eingestufter Bands machten sie möglich, indem sie den „blanco check“ offiziell als geschlossene Veranstaltung mit Werkstattcharakter deklarierten. Durch Einladungen und Mundpropaganda mobilisierten sie das Publikum. Durch Scheinlisten, die am Eingang auslagen, wurde die Überprüfung der Einladungen vorgegeben. So wurde das Bild einer geschlossenen Veranstaltung nach außen hin gewahrt. Die relativ fortschrittlichen KulturarbeiterInnen des Stadtbezirks Mitte tolerierten dieses Verfahren.

Anfang 1989 zog der „blanco check“ in den größeren JoJo -Klub um. Der heutige „blanco check“ ist der erste seit Öffnung der Mauer. Der für Dezember geplante fiel aus, da Bands und Publikum den Westen testen gegangen waren. Inzwischen ist das Ostberliner Publikum in die Klubs zurückgekehrt. Seit dem Wegfall des Zwangsumtausches mischen sich immer mehr Westler dazwischen.

Die heute zu sehenden Beiträge sind ausschließlich vorgewendete Projekte. Obwohl sie im wesentlichen vor den Novemberereignissen produziert wurden, sind sie deshalb nicht weniger spannend. Denn trotz der staatlichen Kontrolle gab es genug Leute, die machten, wozu sie Lust hatten. Inzwischen ist auch im Musikkulturbereich die staatliche Einflußnahme zurückgegangen. Die Klubs haben an Autonomie gewonnen. Amateurbands dürfen ohne staatliche Prüfung auftreten. Radikale Veränderungen hat es aber noch nicht gegeben. Die Bewegung in der Politik scheint den Kulturbetrieb gelähmt zu haben. Beim nächsten „blanco check“ sollen auch Westberliner Musikprojekte vorgestellt werden.

Christian Hoffmann

„Blanco check“ heute um 20 Uhr im JoJo, Wilhelm-Pieck-Straße 216 Ecke Friedrichstraße. Eintritt: drei Mark.