Aus den Niederungen der Hochschule

■ Mütter mit Kindern bleiben draußen

Viele von denen, die sich zum Zwecke des Studiums oder beruflich in den Büchertempeln dieser Stadt rumtreiben, wußten im Verborgenen schon immer darum und werden jetzt, so man sie darauf hinweist, vielleicht mit dem Kopfe nicken: in Berlin sind die Bibliotheken zweigeteilt. Da sind die unzähligen Bücheraufbewahrungsorte an den Unis und in den Bezirken, und dann gibt es die Staatsbibliothek. Die Staatsbibliothek ist anders. Sie ist die Monarchin. Sie allein noch hält hoch, was den Wert einer echten Bibliothek ausmacht. Hier wird Wissenschaft noch mit dem nötigen Ernst und der nötigen Inbrunst betrieben - wie vor hundert Jahren. Silencium in der alle Laute schluckenden modernen Architektur.

Da versteht es sich fast wie von selbst: Kinder haben in dieser erlauchten Atmosphäre nichts zu suchen. Und Frauen (meistens sind es Frauen und nicht Männer), sofern sie ihre Kinder mitbringen, auch nichts. Wer partout nicht so viel Fingerspitzengefühl besitzt, dem hält die Staatsbibliothek ihr Gedrucktes unter die Nase: „Kinder bis zu einem Alter von 14 Jahren haben keinen Zutritt zum Lesesaal, damit Störungen der dort arbeitenden Benutzer vermieden werden“, lautet die schroffe Anweisung des Leiters der Benutzerabteilung, an die sich die gestrengen Kontrolleure am Eingang auch strikt halten. Dafür muß Verständnis aufgebracht werden, auch wenn das Kleinkind vor dem Bauch der Mutter selig schläft. Ja, Kinder könnten schließlich in der kurzen Zeit, wo Mann oder Frau einige Signaturen nachschlägt, mit ihrem schrillen Geschrei die über den Büchern Brütenden ablenken - einmal unterstellt, die Mutter oder der Vater ließen das zu oder daß 13jährige sich auch noch so verhalten. Aber so weit kommt es in der Staatsbibliothek erst gar nicht. Für eine alleinerziehende Mutter (oder auch ein Paar mit Kind) gilt der Hundespruch: „Wir bleiben draußen!“ Die Staatsbibliothek gesteht nur eins zu: Von der Halle aus dürfen Eltern mit der Katalogauskunft telefonieren und sich die Signaturen von maximal drei Titeln raussuchen lassen, mehr schafft das Personal nicht. Und wenn nun 20 Titel auf der Wunschliste stehen? Ob die da oben auch siebenmal den Hörer abnehmen? Einen Versuch wär's wert. Einen Versuch wär's auch wert, wenn Eltern künftig mit ihren Kindern auch in der Staatsbibliothek Einlaß verlangen würden.

Thomas Werres