„Ausscheren ist rechtlich möglich“

■ Ein Juraprofessor über die Möglichkeiten des Senats, gegen den Willen der anderen Bundesländer mit den Berliner KiTa-ErzieherInnen einen Tarifvertrag zu Personalbemessung und Arbeitsbedingungen zu machen

Nach den Gesprächen zwischen Senat, den Spitzen der Regierungsfraktionen und den Gewerkschaften am Dienstag scheint sich im KiTa-Konflikt nun doch etwas zu bewegen. Wie der Vorsitzende der GEW, Erhard Laube, gestern der taz sagte, gebe es noch keinen Durchbruch, man sei aber ein Stück weiter. Der Streik werde auch in der nächsten Woche fortgesetzt. Über den Inhalt eines möglichen Kompromisses wollte sich Laube nicht äußern. Knackpunkt des KiTa -Konflikts ist die Festschreibung von mehr Personal im Rahmen eines Tarifvertrags. Diese Forderung der Gewerkschaften lehnt der Senat bislang ab. Begründung: Die sogenannte Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), bundesweite Vereinigung der öffentlichen Arbeitgeber, lehne dies ab. Berlin dürfe, weil finanziell auf den Bund angewiesen, nicht aus dem Verband ausscheren. Über TdL und Tarifvertrag sprach die taz mit dem Juristen Prof. Albrecht Dehnhard von der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege.

taz: Der Senat beruft sich im KiTa-Streit stets auf die TdL. Zu Recht?

Dehnhard: Die Tarifgemeinschaft ist ein Abkommen zwischen den Ländern. Das liegt unterhalb von Verfassungsrecht, ist aber auch keine bloße Übereinkunft. Die TdL hat aber eine klare Funktion. Sie soll einerseits das Verhalten der jeweils einzeln zuständigen Länder vereinheitlichen. Zweitens soll die TdL die Länder in Tarifauseinandersetzungen, bei Begehrlichkeiten einzelner Gruppen stärken. Staatsrechtlich ist das Ausscheren möglich, aber es hat natürlich politische Konsequenzen.

Wenn sich alle Länder auf den ErzieherInnen-Vertrag einigten, wäre das kein Problem?

Das wäre dann eine Abänderung dieses Abkommens, und die Sache wäre vom Tisch.

Hat es schon Fälle des Ausscherens gegeben?

Es gab einen Präzedenzfall, in dem Berlin gegen das Votum der TdL ausgeschert ist. Das war noch unter dem CDU -Innensenator Kewenig. Das galt als großer Sündenfall, und deshalb beruft sich dieser Senat auch darauf. Bei einem zweiten Mal bestünde die Gefahr, daß Berlin aus der TdL ausgeschlossen würde.

Die Gewerkschaften sagen, man könne auf Berliner Ebene einen Tarifvertrag abschließen.

Das wäre ja genau das Ausscheren aus der Absprache. Wenn man das Problem in rechtlicher Sicht zuspitzt, dann liegt es darin, ob man diese Absprache von Bundesländern will oder nicht. Ob es richtig ist, daß sich die Länder in ihrer grundgesetzlichen Gestaltungsfreiheit selbst beschränken. Das Ausscheren kann man andererseits auch als Weiterentwicklung der „gelebten“ Verfassung bezeichnen, nämlich stärkere Autonomie der Länder. Das kann man prinzipiell durchaus bejahen.

Was sind denn in diesem Fall die Befürchtungen von seiten der TdL? Befürchtet die eine Ausdehnung solcher Verträge auf andere öffentliche Bereiche?

Die TdL soll die Zahl der Konflikte gering halten und verhindern, daß heute die Kindergärtnerinnen, morgen die Lehrer und übermorgen die Arbeiter in den Grünanlagen streiken.

Die TdL soll quasi englische oder italienische Verhältnisse verhindern?

Das kann man gut so sagen. Streik in Ehren, aber die Konfliktfähigkeit hält sich in Grenzen.

Interview: kotte