Die beleidigte Hausmeisterfront

■ Dokumentation über Aus- und Übersiedler: „Heim ins Lager“, ARD, 20.15 Uhr

Eines der ältesten und größten Aufnahmelager der Republik steht seit 1957 in Langen bei Frankfurt. Ein langgestreckter, vierstöckiger Bau. Je Familie ein Zimmer. Verweildauer: ein bis fünf Jahre. Postadresse: Straße der deutschen Einheit Nr.1.

Ein deutsches Ehepaar aus der Sowjetunion. 1944 wurden sie nach Kasachstan gebracht, vorher lebten sie auf dem Schlachtfeld. Die blutende Rote Armee ertrug bei ihrem Rückschlag keine Deutschen, nicht vor ihnen in der Schußlinie, auch nicht in ihrem Rücken. Wer besiegt, überrannt, rückerobert war, wurde vom Feld in die Pampa geschickt und behandelt als Faschist. Jetzt sind sie hier, die Vertriebenen, nach drei Stunden Flug, so nah ist das.

Sie sagen: „Alles in Ordnung, alles ist scheen, man hat uns scheen aufgenommen. Besser kann es nie sein, besser war es auch nie.“ Die Kamera (Rüdiger Leske) sucht unter dem Sofa, stöbert ein Paar abgestellter Sandalen auf. Was die Heimgekehrten suchen nach der Diskriminierung, bescheiden: ein nicht-diskriminierendes Deutschland. Wäre scheen.

Aufnahmelager Bramsche/Niedersachsen. Die Kamera schreitet Stacheldraht ab, im Treppenhaus Gedränge. Monatlich zehntausend, die sich drängeln. Bramsche ist Erstunterkunft. Langen das Asyl. In Bramsche ruft ein Mann nervös: „Ich will in meinen Block.“ Eine angekommene Familie, kopfschüttelnd im gelobten Reich: „Wie fühlen Sie sich?“ - „Inmitten der Deutschen, wie in einem See ohne Ufer.“ Nur die Unfreiwilligen gezählt, leben drei Millionen Deutsche außerhalb der Grenzen von 1937. Die Angst, in den Massen zu ertrinken, existiert auf beiden Seiten, der Einheimischen wie der der Ankommenden. Angst macht Politik. Die „liberale“ Volksmeinung fürchtet durch die stalingeschädigten Aussiedler einen Rechtsruck. Die Dokumentarfilmer Mischka Pop und Thomas Bergmann sehen die Angst und greifen mit der Kamera heinein.

In die Wunden, an denen die Nutznießer sich weiden: die Neonazis. Im Lager Langen sitzt seit fünf Jahren Reiner Sonntag, der dritte Mann der „Nationalen Sammlung“ um Michael Köhnen. Er versteht sich ausgezeichnet auf die heimgekehrten Schäfchen, verteidigt sich mit Gaswaffen und liebt - ausgenommen die Polen - die „Wiederdeutschen“. Diese sollen keine „Heim-Kehrer“ sein. Ein bißchen Neonazismus, hofft er, 200prozentige Deutschtümelei, glaubt er, hilft den als Fremde Verschmähten, etwas deutscher zu werden.

Gerade das aber widerlegt der Film. Es sind nicht die Ausiedler, die die eigentliche Klientel der Neonazis bilden. Es ist die beleidigte Hausmeisterfront. Es sind die Angestellten der Lager. Popp und Bergmann staunen, das kommentieren sie nicht mehr: Welches Vokabular in den Lagern gesprochen wird. Wer als Untermensch herhalten muß. Wie die Biedermänner der Kleiderkammerverwaltung die Massen zur Ordnung zwingen, sie mit Lust beschimpfen. Ihr Kampf gegen das „Pack von drüben“ ist physisch unmittelbar. Gerade vor laufender Kamera, scheint es, stemmen sie sich um so befriedigter gegen die wehrlose Mehrheit und drängen sie aus der Kammer der freundlich gesendeten Kleider hinter die eiserne Tür zurück. Dazu ein Aussiedler: „Kleiderausgabe nur gegen Deutschen Schäferhund-Nachweis.“

Arnd Wesemann