Ohne Geld Filme machen

■ Über das Konzept des „minimal movie“. Anmerkungen zum Rotterdamer Filmfestival

Moritz Döbler

Auf dem Rotterdamer Filmfestival, das am Sonntag zu Ende ging, wurde viel über Geld diskutiert. Einer, der die Diskussion angeheizt hat, ist Pim de la Parra, Schmuddelkind der niederländischen Filmwelt, der seinen ersten Spielfim 1966 vorgestellt hat und inzwischen fünfzig ist.

Er hat in Rotterdam provoziert - mit einem Film und mit einem Wort. Der Film heißt Die Nacht der wilden Esel und zeigt die Produktion eines Spielfilms, die Probleme mit Filmförderung, Produzenten, Schauspielerinnen. Die wilden Esel sind Menschen, die trotzdem Filme machen.

Das provozierende Wort heißt „minimal movie“. Inzwischen, sagt Parra, gäbe es vier minimal movies. Der erste, Lost in Amsterdam, wurde vor einem Jahr vorgestellt, der dritte ist Die Nacht der wilden Esel.

Was ist ein „minimal movie“? „Mit Minimalmusik hat das nichts zu tun - oder vielleicht doch?“ Minimal bezieht sich auch nicht auf die Länge. Die Nacht der wilden Esel ist abendfüllend. Auf jeden Fall kostet ein minimal movie wenig oder kein Geld (im letzten Fall kann er auch „very minimal“ genannt werden) - und damit noch weniger als die low- und no -budget-Filme.

Minimal ist auch der Aufwand: Kein Drehbuch oder nur Drehbuchfragmente, wenig Schauplätze, höchstens sechs Drehtage. Als Kulisse wird das benutzt, was da ist: Für Die Nacht der wilden Esel wurde ein großzügiges Haus benutzt, nur merkte Parra erst später, daß das Haus leer war - keine Möbel, nichts. Das Drehbuch wurde umgeschrieben: Der Hauptdarsteller, ein Regisseur, von Parra selbst gespielt, befand sich nun gerade um Umzug. Die Möbel waren noch nicht angekommen...

Der ursprüngliche Hauptdarsteller war überraschend abgesprungen, also übernahm Parra die Rolle, eigentlich die eines Professors. Herausgekommen ist ein Filmemacher, der Titel sollte erste „Unerwünschte Intimitäten“ sein, nun ist er Die Nacht der wilden Esel.

Alles ändert sich ständig, weil „minimal movies“ in kurzer Zeit fertig sein müssen, um „minimal“ zu bleiben. Das nächste „minimal movie“ ist schon bald fertig. Wenn alles geklappt hat, hat Pim de la Parra seit dem Festival in Rotterdam einen neuen gemacht: Am Samstag Ausarbeitung der wichtigsten Szenen, am Sonntag, Montag und Dienstag Drehzeit. Die Premiere sollte am 23.März auf dem Antwerpener Filmfestival sein, das aber abgesagt worden ist, weil der größte Sponsor, Sabena, sich zurückgezogen hat. Parra: „Wir werden schon was anderes finden.“

Warum aber dreht er nicht Filme mit höherem Budget? „Minimal movies“, sagt Pim de la Parra, „sind aus dem Gebrauch glasklaren Verstands geboren, aus der Erfahrung, immer wieder entmutigt zu werden. Das hat soviel Wut unter den niederländischen Filmemachern hervorgerufen, daß da eine Elite sitzt, die sagt 'du ja, du nicht, du auch nicht‘. Wir zeigen also, daß du Filme in diesem Land ohne die Unterstützung der Regierung machen kannst. Und wir haben uns nun den Trick überlegt, die Regierung dann zu fragen, wenn der Film schon fertig ist. Weil die Chance besteht. Wir nutzen die Chance. So haben wir einen nachträglichen Zuschuß für The night of the Wild Donkeys bekommen. Sie haben fast 75 Prozent des Budgets bezahlt. Aber sie haben keine Zensur ausüben können.“

Parra kritisiert den Subventionsapparat: „Es wird immer mehr Bürokratie. Bürokratie, Bürokratie, Bürokratie. Die minimal movies, die jetzt gemacht werden, sind nur zu begreifen, wenn man sieht, wie die verschiedenen Fonds und Filmtöpfe und die ganzen Kommissionen arbeiten. Sie töten die Kreativität, nehmen dir die Initiative weg, machen dich zum Sklaven - und dann sagen sie dir noch, daß es am Drehbuch liegt! Dann mußt du also dicke Drehbücher schreiben, wofür du auch Drehbuchförderung kriegen kannst.“

Er sagt, daß die Titel seiner Filme schon Drehbuch genug sind: Paul Chevrolet und die letzte Halluzination hieß ein Film von ihm, Die Nacht der wilden Esel heißt der neue und der nächste heißt Bekenntnisse eines Schlaflosen..

Pim de la Parra will nicht auf die Realisierung der Europapläne des Hamburgers Filmbüros warten: „Warum bis 1992 warten? Wir machen jetzt Filme.“ „Die Regierung vergißt, daß sie investiert hat, in die Filmakademien oder Schulen zum Beispiel, aus denen eine Kultur von Spielfilmmachern entstanden ist - und eine blühende Kultur. Eine Kultur kann unabhängig von der Menge des Geldes blühen.“

Mit zehn Millionen pro Jahr, das ist der Filmtopf in den Niederlanden, könne man dreißig Filmemachern je 300.000 Gulden geben, meint Parra, und hätte dann noch eine Million für die Organisation. Das sei ein gutes Verhältnis: zehn Prozent für die ganze Organisation.

„Minimal movie, so wie wir sie hier machen, werden nirgendwo anders auf der Erde gemacht. Sie werden aus dem System geboren, das hier herrscht.“ Parra gibt zu, daß seine Arbeitsbedingungen eigentlich noch gut sind: „Du hast in diesem Land doch viele Chancen. Es gibt zum Beispiel die Holland Film Promotion: Wenn der Regisseur sein Endprodukt erstmal gemacht hat, dann gibt es Möglichkeiten, den Film in der Welt weiter zu verbreiten. Allein das ist schon eine Chance, um die zum Beispiel alle Filmemacher aus Mosambik sich reißen würden.“

Pim de la Parra wendet sich auch an seine Kollegen: „Die niederländischen Filmemacher werden immer teurer und teurer

-sie wollen mehr sein, als sie tatsächlich sind. Sie wollen mehr sein, als man in diesem Land realisieren kann. Sie wollen alle den Abklatsch von Hollywood. Paul Verhoeven zum Beispiel will Steven Spielberg sein - und er ist auch sehr weit gekommen. Aber du hast keine Filmemacher mit einem eigenen Weltbild, einer Vision. Die minimal movie-Bewegung ist also zunächst ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu erregen.“

„Minimal movie“, das ist zwar keine Exklusivbezeichnung. „Wir unterscheiden uns aber von den kleinen Amateuren, die irgendwo ein Filmchen drehen für das Kino. Aber wir sind auch Amateure, denn Amateure sind Liebhaber. Wenn ich in den letzten 25 Jahren nur Filme gemacht, nur auf 35 mm gefilmt habe, außer einigen Fernsehfilmen, wenn ich kein Video gemacht habe (ich weiß nicht mal, wie das geht...), was bin ich dann anderes als ein professioneller Filmemacher?“

Er macht den Eindruck eines Menschen, der exzessiv und rücksichtslos lebt. Er schaut den Frauen nach und dreht Filme mit ihnen, das Gras, das er in der Lobby des Hilton Rotterdam raucht, riecht gut, heute kein Geld, morgen ein neuer Film. Genialischer Habitus. Er ist sein eigenes Klischee. In Podiumsdiskussionen beißt er um sich, die Antworten auf meine Fragen sind ausschweifend, wachsen sich zu trotzigen, immer schnelleren Monologen aus - er ist vielleicht nicht umgänglich, aber wach.

Die Filme werden in Kooperativen gemacht, die für die Dauer des Films bestehen. Es wird ein Name gewählt, meistens ein ziemlich schräger, zum Beispiel „Fly by Night Film Productions“, und hinter den Namen steht „Keine Haftung“. „Das mußt du schon im Namen sagen“, sagt Parra, „damit jeder, der mit dir Geschäfte macht, weiß: Oh, wait a minute, keine Haftung.“

Worum geht es also bei solchen Diskussionen, wie sie in Rotterdam und auch auf den Festivals von Hamburg und Berlin geführt werden? Darum, daß das Lamentieren über wenig Geld und schlechte Produktionsbedingungen ein Ende hat. Daß statt dessen Filme gemacht werden - wenn es sein muß eben mit wenig Geld. Zwar sind „minimal movies“ dann nicht perfekt wie könnten sie es auch sein? Sie sind instant films schnell angerührt, zum sofortigen Verzehr geeignet, manchmal etwas dünn, auch fröhlich und selbstironisch, vor allem aber ihren Zweck erfüllend, nämlich mit einfachen Mitteln eine Geschichte zu erzählen. Der einzelne Film ist nicht von Dauer, vielleicht aber das Konzept.

Auf einer Podiumsdiskussion im Hilton wurde das Mittelmaß des niederländischen Films beklagt. Der Moderator, Hans Beerekamp, mußte die Diskussion aus Zeitgründen abbrechen, gerade als es spannend wurde. Hoffnungsvoll-skeptisch sprach er seinen Schlußsatz: „Beim nächsten Mal reden wir nicht mehr über Geld.“ Alle klatschten.