Flucht auf fremdes Eis

Nicht nur in der DDR, auch in der Tschechoslowakei droht der sportliche Ausverkauf - zumindest im Eishockey  ■  PRESS-SCHLAG

Der Eishockeysport in der Tschechoslowakei ist von einer wahren Massenflucht der Spitzenspieler existenziell bedroht. Diese Einschätzung gab Chefcoach Pavel Wohl anläßlich eines Länderspielbesuchs seiner Mannschaft in Stockholm. Wie er vor der Presse mitteilte, haben gerade weitere sieben Stammspieler der Nationalmannschaft die Erlaubnis erhalten, ins Ausland zu gehen.

Schon jetzt spielen unter anderem dreizehn tschechoslowakische Spitzenspieler in der nordamerikanischen Liga NHL, weitere vier bei finnischen Clubs. „Wenn schon das Geld lockt, was ich gut verstehe“, sagt Wohl, „so hoffe ich doch, daß viele wenigstens nach Skandinavien gehen, weil es da meist keine Probleme gibt, sie für Spiele der Nationalmannschaft loszueisen.“ Bei den in den USA und Kanada verpflichteten Spielern sei es zu einem großen Teil reines Glück, eine Freigabe zu erhalten. „Nur leider wird das dicke Geld natürlich in der NHL gezahlt.“

Optimismus strahlt Pavel Wohl im Hinblick auf die Weltmeisterschaft im April in der Schweiz nicht gerade aus. Was nicht bedeutet, daß er dem Demokratisierungsprozeß in seiner Heimat, der die neuerliche Spielerflucht ausgelöst hat, negativ gegenüberstehe. Im Gegenteil. Aber für das Eishockey in der CSSR sieht er zunächst einmal schwarz. Selbst wenn die Nationalmannschaft noch einigermaßen über die Runden kommen sollte: die Klubmannschaften müßten angesichts des ständigen Aderlasses mit jungen und unerfahrenen Spielern immer wieder neu aufbauen. Symptomatisch das Ausscheiden des CSSR-Meisters Dukla Jihlava in der Halbfinalrunde des Europapokals. Und in den nächsten drei bis vier Jahren werde der spielerische Standard vermutlich noch empfindlich sinken.

Überhaupt hat das Interesse für Sport ganz allgemein deutlich nachgelassen“, stellt der CSSR-Coach fest. „Die Leute interessieren sich jetzt mehr für Politik, Wirtschaft, Umwelt, das Gesundheitswesen. Aber wenn sich alles wieder einigermaßen stabilisiert hat, wird auch der Eishockeysport sicher erneut eine wichtige Rolle spielen. Unter der hinter uns liegenden Diktatur war Eishockey extrem bedeutsam, das ganze Volk hat sich mit der Nationalmannschaft identifiziert. Jede Niederlage wurde von vielen als nationales Unglück, jedenfalls als viel zu wichtig empfunden.“

Pavel Wohl hofft, daß trotz des Bedeutungsverlustes des Eishockeys auch die neue Regierung genug Geldmittel zur Verfügung stellen wird. „Wenn wir es schaffen, uns in der Weltspitze zu halten, wird man uns sicher nicht zu viel streichen. Die Nationalspieler hatten auch bisher kaum Privilegien. Es gab weder bessere Einkaufsmöglichkeiten noch wurden sie bei der Wohnungsvergabe bevorzugt. Die Spieler müssen sich also nicht auf ganz neue Zeiten einrichten.“ In der Sowjetunion sei das - soweit er wisse - ganz anders gewesen.

Reinhard Wolff