Die wahre Aufklärung liegt in der Luft

■ Die alliierten Streitkräfte unterhalten in der Bundesrepublik eine Vielzahl von Spionage-Aufklärungsstationen / Gelauscht wird nicht nur in Richtung Osten, sondern auch im innerdeutschen Richtfunkverkehr / Ein bißchen profitiert von den Abhöraktivitäten der drei „Westmächte“ auch der Bundesnachrichtendienst / Von Peter Huth

Die US-amerikanischen Geheimdienstlauscher spähen nicht nur in Richtung Osten, sondern fischen auch Informationen aus den Richtfunkstrecken der deutschen Bundespost. Das jedenfalls behauptet James Bamford in seinem 1982 nach langen juristischen Streitereien mit der US-Regierung veröffentlichen Buch The Puzzle Palace über den amerikanischen Geheimdienst National Security Agency (NSA). Der große Bruder der CIA liefert der US-Regierung heute 95 Prozent aller nachrichtendienstlichen Erkenntnisse.

Kurz nach Erscheinen des Bamfordschen Buches berichtete der 'stern‘ über die NSA-Aktivitäten auf bundesdeutschem Boden. Doch Friedensbewegte, ganz mit dem Kampf gegen die atomare Nachrüstung beschäftigt, übersahen damals dieses gewaltige elektronische Militärpotential. Das Wissen darüber wurde mit der Zeit zugeschüttet.

Bis der 'Spiegel‘ im Februar 1989 auf Basis der Bamfordschen Analyse erneut einige Gehörgänge von „Amerikas großem Ohr“ in der Bundesrepublik freibuddelte und über Antennenanlagen der NSA und Beihilfe bundesdeutscher Dienste für den Abhörmulti mit seiner bundesrepublikanischen Zentrale in Frankfurt berichtete.

Daraufhin versuchten die Grünen im Bundestag vergeblich, weitere Auskünfte von der Bundesregierung zu bekommen. Die Bundesregierung bestätigte zwar, daß im Rahmen des Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut Abhöraktionen von den Bündnispartnern angeregt worden seien und in einigen Fällen den Abhörmaßnahmen entsprochen wurde; sie verneinte allerdings, daß ihr irgendein Fall eigenmächtiger Abhörpraktiken der drei Mächte bekannt sei.

Die gleiche legalistische Melodie spielte Anfang Dezember vergangenen Jahres der rheinland-pfälzische Justizminister Peter Caesar (CDU), als er en passant bei einer Podiumsdiskussion klimperte, daß die NSA in Mainz Abhöranträge gestellt habe und einige davon genehmigt worden seien.

Dabei liegen die technischen Möglichkeiten, die der NSA zur Verfügung stehen, jenseits jeglicher Überprüfbarkeit. In den 80er Jahren wurden im Wettlauf zwischen der Verbesserung der Abhörsicherheit und der Abhörfähigkeit die computergestützten Empfangs- und Auswerteanlagen mit Milliardensummen modernisiert: Satellitenterminals, Codier -Rechner und Analysecomputer, dazu intelligente Suchsysteme für Richtfunkstrecken. Diese Empfangsanlagen ließen sich leicht auf die Richtfunkfrequenzen trimmen, mit denen die Deutsche Bundespost nahezu jedes dritte Telefongespräch durch die Bundesrepublik verschickt.

Die gewünschte Verbindung

wird herausgefischt

So könnte man sich zum Beispiel vorstellen, daß die NSA belauscht, was sich Tazler aus den verschiedensten Städten per Telefon über die Nato oder US-amerikanische Truppen in der Bundesrepublik zu erzählen haben. Die Telefonnummern der verschiedenen taz-Redaktionen würden in den Lauschcomputer eingegeben, der wiederum tastet über zahlreiche Parabolantennen die Richtfunkstrecken der Bundespost ab. Da bei jedem Richtfunkgespräch der Post die Telefonnummern der Teilnehmer mitversandt werden, fischt der Computer aus Tausenden von Kanälen die gewünschte Verbindung heraus. Zuvor auf Begriffe wie Nato und US-Truppen programmiert, werden alle Gesprächspassagen mitgeschnitten, sobald diese beiden Begriffe auftauchen. Die Bundesregierung bestreitet nicht diese technischen Möglichkeiten. Sie bestreitet lediglich, daß damit illegal gearbeitet wird.

Im Bundestag auf taube Ohren gestoßen, suchen die Grünen wieder außerparlamentarische Partner. Ende letzten Jahres organisierte das Büro des Bundestagsabgeordneten Alfred Mechtersheimer eine Tagung im nachrichtendienstlichen Ballungszentrum München zum Einfluß militärischer Nachrichtendienste auf die informelle Selbstbestimmung der Bundesbürger, und präsentierte dort unter anderem die Ergebnisse zweijähriger Recherchen der Mitarbeiter des Starnberger Instituts für Friedenspolitik, die einen Einblick bieten in das Netz der US-Dienste in der Bundesrepublik. Die Frage war, welche der weltweit bis zu 4.000 Nebenstellen der NSA in Westdeutschland stecken und welche Zusammenarbeit die Lauschagentur mit den anderen US -Diensten pflegt.

Das europäische Hauptquartier der NSA sitzt in Stuttgart -Vaihingen beim „European Command“, das eine eigene Unterstützungsabteilung für die NSA hat. Zu erreichen ist das Chefbüro NSA im US-Telefonnetz in Vaihingen unter Apparatnummer 8300, nach Dienst unter 6175.

Vernetzungen

Im Frankfurter IG-Farben-Haus sitzt die NSA-Zentrale für Deutschland, ausgenommen West-Berlin, das ein eigenes NSA -Kommando hat. Ob in der größten Abhöranlage der USA in Europa in Gablingen, ob in der „Wildbore„-Stellung Bad Aibling oder in der Münchner McGraw-Kaserne: überall sind die Elektronikspezialisten und Analytiker der NSA anzutreffen. Hausherr dieser Antennenanlagen ist das „Intelligence and Security Command“ (INSCOM).

Das Technische Hilfswerk der NSA ist die „US-Army Field Agency“ (USAFA), die sowohl die Ringanlagen in Gablingen und Bad Aibling als auch ein Netzwerk Dutzender von Aufklärungstürmen betreibt. Die USAFA gehört wiederum zu INSCOM wie auch die Sicherheitsgruppe der US-Marine (Naval Security Group) in der Augsburger Flak-Kaserne. Grenzüberwachungsstationen wie die „Border Observation Points“ des V.Corps in Hessen oder das „Border Operation Center“ im bayrischen Hof ergänzen die westlicheren elektronischen Horchposten und das Geflecht der in der Regel unbemannten „La-Faire-Vite-Sites“ in Landshut, Wurmberg, Braunlage, Wobeck, Heidenheim, Brandhof, Schwammberg und Knielingen.

Und der Ausbau geht weiter: In Gablingen wird 1990 die Anlage durch Computer und Generatoren für eine Million Dollar ergänzt. Im niedersächsischen Wobeck will die US-Army 1,5 Millionen Dollar für den Rohbau eines neuen Operationsgebäudes ausgeben. Die elektronischen Anlagen dürften ein Vielfaches davon kosten.

Selbstständige Kommandobehörden wie der Armeeaufklärungsdienst „Defence Investigation Service“ (DIS) oder das Büro für „Industrial Security Intelligence“ mit Hauptsitz in Brüssel residieren in Mannheim. Jede US -Division verfügt zusätzlich über ein militärisches Geheimdienstbataillon, das Panzeraufklärungsregiment des Korps über eine „Combat Electronical Warfare Intelligence“ (CEWI)-Kompanie und das Korps über ein CEWI-Regiment. Sie beherrschen das ganze Spektrum elektronischer Kriegsführung, Aufklärung und Überwachung, Gegenaufklärung und Kriegsgefangenenbefragung. Zur Verknüpfung ihrer Arbeit mit den nachrichtlichen Zentralbehörden ist ihen in der Regel eine Abteilung der „Army Security Agency“ aus Augsburg zugeordnet. Der weltweit operierende Marineaufklärungsdienst „Task Force 168“ unterhält in Europa vier Niederlassungen: in London, Neapel, West-Berlin und München.

Die US-Luftwaffe verfügt außer ihren taktischen Luftaufklärungsstaffeln und Auswertern mit dem „Office of Signal Intelligence“ (OSI) über einen eigenen Nachrichtendienst, der in jeder US-Luftwaffenbasis in der Bundesrepublik einen „District“ unterhält.

Ver- und Entschlüsselungsexperten ergänzen die Geheimnisjäger in jeder wichtigen Dienststelle, ebenso wie die Übertragungsspezialisten des elektronischen Sicherheitskommandos (ESC).

Die „kleinen Brüder“

Für die Briten forscht das 13.Signal-Regiment mit seinem Hauptquartier in Birgelen und Ablegern in West-Berlin und Jever. Im Vergleich mit den USA ist die Quantität dieser Dienststellen eher gering, die Qualität soll jedoch vergleichbar gut sein. Die britischen Streitkräfte haben keine eigenen Antennentürme mehr in der Bundesrepublik. Der ehemalige Turm im niedersächsischen Scharfoldendorf ist geschlossen und die Station bei Gorleben aufgegeben. Die Fernmeldesoldaten der 291.Signals Unit, der 225.Signals Squadron und des 14.Signals Regiment aus Celle nutzen wie die 226.Signals Squadron aus Dannenberg dieselben Aufklärungsposten wie die Fernmeldekompanie 945 der Bundeswehr an der innerdeutschen Grenze. Die Zentrale der britischen Horchspezialisten, das GCHQ (Hauptquartier des Fernmeldenachichtendienstes) liegt in Diepholz.

Analog zu den US-Streitkräften verfügen die britischen Heeresverbände über eine Vielzahl von „Intelligence„ -(Geheimdienst-) Einrichtungen und Verbänden in Jever, Verden, Hannover, Soltau, Celle, Lüchow, Braunschweig, Düsseldorf, Mönchengladbach, Münster, Osnabrück, Dortmund, Bielefeld, Detmold, Minden und Lübbecke.

Auch die französischen Streitkräfte zeigen sich für Lauschaktionen in und um den bundesdeutschen Äther sehr empfänglich. Ein grenznaher Abhörturm ragt bei Bahrdorf aus den Harzwäldern, eine Horchfunkkompanie liegt in der Marseille-Kaserne der Bundesluftwaffe in Appen im Norden Hamburgs.

Die größte der drei Anlagen in der Bundesrepublik - den Antennenringen der USA in Gablingen vergleichbar - liegt in der Pfalz bei Landau, dem Hauptquartier des 44.ELOKA -Regiments.

Der BND darf in

Berlin-Tegel dabeisein

An mobilen Kräften befinden sich im französischen Korps Fernmeldeaufklärungsteile in einem der drei Fernmelderegimenter, in einer Panzerdivision eine Kompanie Fernmeldeaufklärer im Stabs- und Führungsregiment. Diese mobilen Teile lehnen sich häufig bei Übungen an ortsfeste Anlagen der Bundeswehr an. Im Gegenzug sind 40 BNDler in der französischen Abhöranlage auf dem Westberliner Flughafen Tegel mit von der Partie.

Schwerpunkt all dieser Dienste ist die elektronische Spionage. Wo immer Freund und Feind irgendwelche Mittel moderner Telekommunikation benutzen, sind diese Dienste ganz Ohr. Weder die britischen Abhörspezialisten in den bundesdeutschen Türmen noch die Franzosen tauschen ihre Ergebnisse mit den Aufklärern der Bundewehr aus. Wie die US -Amerikaner geben sie ihre Ergebnisse nur an die jeweiligen nationalen Dienststellen weiter. Nur zwischen den Amerikanern und den Briten gestaltet sich der Informationsfluß aufgrund einer bereits im Zweiten Weltkrieg vereinbarten Kooperation reger.

Quelle:

Sondernummer des 'Mediatus‘. Forschungsinstitut für Friedenspolitik Starnberg.