Kein Grund zum Kurswechsel

■ Die Grünen korrigieren die Position der Zweistaatlichkeit

Bisher waren die Grünen die einzige Stimme für die Zweistaatlichkeit inmitten des westdeutschen Chors von Vereinheitlichern. Nun wollen die Grünen unter dem Druck der deutsch-deutschen Ereignisse die drohende Vereinigung sozial und ökologisch abfedern helfen. Eine Aufgabe der Position der Zweistaatlichkeit ist das noch nicht, aber eine Kurskorrektur, die Fragen aufwirft. Politische Parteien, die sich selber ernst nehmen, kommen sicherlich nicht um die Anpassung an gewandelte Wirklichkeiten herum, und gerade die Grünen sind für die Vernachlässigung des Realitätsprinzips oft gescholten worden. Heißt dies aber, Überzeugungen über Bord zu werfen, weil sie derzeit nicht mehrheitsfähig scheinen? Wenn allein Mehrheitsfähigkeit im Zentrum der Überlegungen gestanden hätte, dann wären die Grünen vor zehn Jahren jedenfalls nicht gegründet worden.

Auch wenn viele Abgeordnete ihre Schwierigkeiten mit der Revision ihrer alten Position eingestanden haben, bleibt es fatal, den unzweifelhaften Vereinigungswillen der Menschen in der DDR als unverdorbenen Volkswillen zu deuten. Vielmehr scheint der Ruf nach dem einig Vaterland zu einem gut Teil auch eine Reaktion auf die erpresserische Politik der Bundesregierung zu sein, die täglich demonstriert, daß die dicke Geldbörse erst aufgeht, wenn die Menschen dort drüben auch hübsch das Vereinigungsmännchen machen. Es ist gutes Recht der DDR-Bevölkerung, teilhaben zu wollen am Wohlstand, ohne verordnete gesellschaftliche Experimente - da müssen auch die Grünen mithelfen. Zugleich aber bestehen die guten Gründe weiter, warum eine deutsche Linke für die Weiterexistenz zweier deutscher Staaten streiten könnte bis zur Realisierung eines vereinigten, grenzenlosen Europas. Joschka Fischer hat bis vor kurzem die Position vertreten, die deutsche Teilung sei eine Sühne für Auschwitz - das ist doch nicht hinfällig geworden, nur deshalb, weil es dafür keine Mehrheit gibt. Die DDR muß nicht erhalten bleiben, um dort einen abgewirtschafteten Sozialismus zu retten, aber sicherlich auch als Lehre aus der Geschichte. Mit einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten lassen sich außerdem wirtschaftliche Probleme einer demokratischen DDR nicht besser lösen als mit der Zweistaatlichkeit; es braucht nur den bundesdeutschen Willen dazu.

Kontrastprogramm zu machen zur großen Koalition der Wiedervereiniger aus CDU und SPD müßte deshalb auch künftig zum guten Ton bei den Grünen gehören. Sagen, was die schnelle Vereinigung kostet und welchen Schaden sie anrichtet, welche Belastungen auf die Bevölkerung hüben und drüben zukommen und mit welchen Konzepten man die Vereinigung ökologisch und demokratisch verträglich abmildert, ist nur ein Teil der Aufgabe der Grünen. Alternativen klar zu benennen, gehört dazu. Wer eigene Überzeugungen aufgibt, sich anhängt an die Ostland-Streiter der anderen Parteien, gefährdet die Existenz der Grünen. Die Originale betreiben das Geschäft allemal besser als die grünen Trittbrettfahrer. Auf Zweistaatlichkeit zu beharren, mag keine gesellschaftliche Mehrheit finden, richtig ist es allemal.

Gerd Nowakowski