Aufbruchstimmung und Hoffnung im Kosovo

Friedlicher Protest gegen Zwangsmaßnahmen und Schießbefehl / Neue demokratische Organisationen finden großen Zulauf / Opposition hofft auf schnelle Lösung durch die Bundesregierung / Milosevics Uhr läuft ab / Die Stunde schlägt für Kosovos Demokraten  ■  Aus Pristina Erich Rathfelder

Bewegung spiegelt sich in vielen Gesichtern, als am Montag abend um 7 Uhr der 27 von den jugoslawischen Sicherheitskräften ermordeten Kosovo-Albaner gedacht wird. Tausende waren aus den Außenbezirken der Stadt ins Zentrum geströmt, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Bereits am Nachmittag hatten die Arbeiter und Angestellten in allen Betrieben der Toten gedacht. Tausende versammelten sich in den Dörfern und Kleinstädten, wo Tote zu beklagen waren. Trotz des martialisch anmutenden Polizeiaufgebots verlief der Gedenktag friedlich, nicht zuletzt ein Verdienst der demokratischen Gruppen im Kosovo, die, wie in Pristina, dafür sorgten, daß sich nach den Gedenkfeiern die Demonstrationen sofort wieder auflösten. „Das letzte, was wir jetzt brauchen können, sind Zwischenfälle und Provokationen“, erklärt denn auch Isup Buxhovi, einer der Vorsitzenden der Demokratischen Liga des Kosovo, die Taktik seiner Organisation. In einer Baracke gleich hinter dem Stadion der Stadt hat die im Dezember gegründete Gruppe ihr provisorisches Domizil gefunden. „Wir wollen die Demokratisierung. Jetzt bietet sich zum ersten Mal die Gelegenheit, diesem Ziel näherzukommen.“ Seit die Bundesregierung Jugoslawiens die Bereitschaft signalisierte, nun tatsächlich mit der Demokratisierung zu beginnen, herrscht Aufbruchstimmung im Kosovo.

Vielleicht war die Kampagne des serbischen Parteiführers Milosevic, der letzte Woche den Konflikt um den Kosovo noch einmal anheizte, seine letzte politische Karte. Das ist die vorherrschende Meinung bei den Oppositionellen im Kosovo. Frei und offen wird über die politischen Perspektiven diskutiert. Noch vor zwei Jahren ein Ding der Unmöglichkeit. Damals konnten Kosovo-Albaner nur unter größten Vorsichtsmaßnahmen ausländische Journalisten treffen, heute geben sie sich bei der demokratischen Liga die Klinke in die Hand. 200.000 Menschen sollen nach Angaben der Führung jetzt schon in der Liga vereinigt sein, und täglich „werden es Zehntausende mehr“, erklärt Buxhovi stolz.

In dem Pressegebäude der Stadt residiert Veton Serroi, der selbst unter den Repressionen, die seit vorigem Jahr gegen Intellektuelle angewandt wurden, zu leiden hatte. Doch gelang es den Behörden nicht, den populären und respektierten Mann auszuhebeln. Serroi, der schon seit mehreren Jahren einer der markantesten Figuren der albanischen Opposition ist, hat den Vorsitz der regionalen Gruppe der „Jugoslawischen demokratischen Initiative“ übernommen, die über alle nationalistischen Brüche hinweg der Demokratie in Jugoslawien zum Erfolg verhelfen will. Im Bundesparlament, berichtet er, werden noch in diesem Monat Gesetze über die Möglichkeit freier Wahlen und freier Organisation verabschiedet werden, und das ist endlich der erhoffte Durchbruch. „Wir müssen nur noch ein bißchen warten.“ Nur eine großangelegte Provokation könne jetzt noch den Gang der Dinge ändern. Dann „wird der Spuk Milosevic vorüber sein“. Auf der Grundlage der neuen Gesetze würden die demokratischen Kräfte in ganz Jugoslawien Neuwahlen auch für Serbien und damit im Kosovo fordern. Denn Milosevic habe angesichts der Demokratisierungstendenzen die Republikwahlen um ein halbes Jahr, auf den November letzten Jahres vorverlegt, um noch unter den alten stalinistischen Vorzeichen wählen lassen zu können. Seroi, der auch Initiator einer Petition ist, die inzwischen über 300.000 Menschen unterschrieben haben, fordert von der Bundesregierung die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen, die Beendigung der politischen Prozesse und die sofortige Einführung der Pressefreiheit.

Trotz der Polizeiaktionen, der Kugeln auf Demonstranten, trotz der 27 Toten, sind die Führer der Oppositionsparteien und Gruppen im Kosovo heute so gelassen wie nie zuvor. Randerscheinungen wie der „Führer der serbischen Bewegung im Kosovo“, Bogdan Kecman, der öffentlich fordert, alle Kosovo -Albaner aus dem Land zu vertreiben oder ins Gefängnis zu stecken, wird eher belächelt als mit Haß überzogen.

Schon eher geben die Auseinandersetzungen zwischen den demokratischen Organisationen Anlaß zur Diskussion. Für einen der profiliertesten kosovo-albanischen Intellektuellen, Skelzen Maliqui, ist schon jetzt die Zeit gekommen, an die Gründung einer neuen Linkspartei zu denken, einer sozialdemokratischen Partei, die sich aus den Basisbewegungen entwickeln soll. „Ultrarechts stehen bei uns die Stalinisten, die Demokratische Liga gehört zur rechten Mitte, ist mir zu nationalistisch, obwohl sie sich allen Bevölkerungsgruppen, auch den Serben gegenüber öffnen will. Doch links ist ein Vakuum, das den „Reformkommunisten“ unter dem zur Zeit wegen „konterrevolutionärer Umtriebe“ vor Gericht stehenden Azem Vlasi nicht überlassen werden darf. Maliqui fordert von der neuen Partei, daß sie sich auch neuen gesellschaftlichen Fragen öffnen müße wie den Problemen der Umweltzerstörung und der Emanzipation der Frauen. Gerade den Frauen müsse die Gelegenheit verschafft werden, in der patriarchalischen Gesellschaft des Kosovo ihre Stimme erheben zu können.

Alle demokratischen Kräfte und Oppositionellen sind sich einig: Gewalt spiele nur Milosevic in die Hände. „Stellen Sie sich vor, einem Serben geschehe dasselbe wie den 27 Albanern in der letzten Woche. Der Teufel wäre los“, sagt Maliqui. Ihm macht es Sorgen, daß sich die Führer kleiner marxistisch-leninistischer Gruppen stärker in Szene setzten. Auch bei den militanten Aktionen der letzten Woche hätten sie eine Rolle gespielt. Leicht könnten diese Leute als Provokateure benutzt werden. „Noch liegt Kosovo zwischen den beiden letzten stalinistischen Systemen in Europa: Serbien und Albanien. Und beide haben ein Interesse daran, den Konflikt hier anzuheizen.“