Memminger Gericht spricht frei

Angeklagter konnte Schwangerschaftsabbruch bei Dr.Theissen nicht nachgewiesen werden / Immer noch stehen Frauen unter dem Vorwurf der illegalen Abtreibung vor dem Kadi in Bayern  ■  Aus Memmingen Luitgard Koch

„Nennen Sie bloß nicht meinen Namen“, bittet die junge Frau nach der Urteilsverkündung. Drei Jahre ist es her, daß sie von der Memminger Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl erhielt. Anklage: illegale Abtreibung bei Dr.Theissen. Damals begann die inzwischen legendäre „Memminger Hexenjagd“. Die PatientInnenkartei von Dr. Theissen wurde beschlagnahmt. Frauen wurden wie am Fließband vor den Richter gezerrt. 355 Ermittlungsverfahren leitete der Memminger Oberstaatsanwalt Peter Stoeckle damals in seinem Verfolgungseifer ein, ganz im Sinne der bayerischen Staatsregierung.

Eine dieser beschlagnahmten Karteikarten liegt auch in diesem Verfahren auf dem Richtertisch. Sie soll als Beweismittel gegen die türkische Bankangestellte dienen. Doch nach zweistündiger Verhandlung verkündet Richter Rüdiger Bochum den Freispruch. Während er zu Beginn der Memminger Hexenprozesse noch eiskalt die Angeklagten verurteilte, so bewertet er diesmal die „subjektive Meinung“ der Frau höher, als das „objektive Indiz“ Karteikarte.

Bereits zu Beginn der Beweisaufnahme hat die Mutter von drei Kindern nämlich ausgesagt, daß Dr. Theissen bei ihr keinen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen habe. Sie war sich auch nicht sicher, ob sie zu dieser Zeit überhaupt schwanger gewesen sei. Erst bei einem Besuch in der Türkei ging sie nochmals zum Arzt, der dann eine Ausschabung durchführte.

Das Gericht ließ es sich nicht nehmen, diesen Arzt aufzuspüren und ihn auf „dem schwierigen diplomatischen Wege der Rechtshilfe“ auszufragen. Eineinhalb Jahre zog sich deshalb das Verfahren hin. Um die Aussagen des türkischen Arztes richtig zu deuten, wurde extra ein Sachverständiger hinzugezogen.

Doch auch Amtsarzt Eckehard Höhmann muß passen. „Ich kann dazu nur wenig sagen“, erklärt er dem Richter. Einerseits sei es möglich, daß nach einem Schwangerschaftsabbruch noch Blutungen auftreten können und die junge Frau daher den türkischen Arzt aufsuchte. Genauso gut könne es während dieser Zeit auch zu Blutungen und zu einem Abgang gekommen sein.

Damit gibt sich Staatsanwalt Herbert Krause jedoch nicht zufrieden. Mit verschränkten Armen und zusammengekniffenen Lippen steht er vor dem Richtertisch und verweist auf die PatientInnenkartei. „LP, diese Eintragung bedeutet letzte Periode“, behauptet er. Und somit ist für ihn klar: Die Frau war schwanger. Auch in seinem Plädoyer beruft sich Krause auf dieses „belastende“ Indiz. „Römisch fünf ist die Abkürzung für die Bezahlung, die die Angeklagte für die Abtreibung geleistet hat“, behauptet der Scharfmacher. 1.600 D-Mark Strafe fordert Krause für die Frau. Die Schulden des Ehepaars, das sich vor kurzem für 200.000 Mark ein eigenes Haus kaufte, beeindrucken ihn nicht im geringsten.

„Ich bin der Ansicht, daß diese Karteikarte nicht verwertet werden darf“, stellt dagegen der Verteidiger Rolf Kleidermann fest. Seiner Meinung nach wird dadurch das Aussageverweigerungsrecht des Arztes ad absurdum geführt. Außerdem sei völlig ungeklärt, ob nicht irgendwelche Eintragungen verwechselt worden seien. Der Memminger Rechtsanwalt plädiert deshalb auf Freispruch.

Im Januar und im Dezember waren bereits zwei Frauenärzte von der Anklage der „Beihilfe zur illegalen Abtreibung“ in Memmingen freigesprochen worden. Man hatte ihnen vorgeworfen, Patientinnen in die Praxis von Dr. Horst Theissen überwiesen zu haben. Der Prozeß gegen ein dritten Frauenarzt steht noch aus.