Zweistaatlichkeit von der Realität erledigt

Grüne Bundestagsfraktion korrigiert deutschlandpolitische Positionen / Forderung nach Zweistaatlichkeit unter Druck der Verhältnisse nicht mehr haltbar / Deutsche Vereinigung soll mitgestaltet werden / Antje Vollmer protestiert gegen unlogischen Beschluß  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Die Bundestagsfraktion der Grünen „geht davon aus“, daß durch die „rasanten Entwicklungen“ in der DDR die „Grundlagen für ein Festhalten an der Zweistaatlichkeit entfallen sind“. Es sei aber kein „wünschenswertes Ordnungsprinzip“, heißt es in einer am Dienstag abend nach fünfstündiger Debatte gefaßten Entschließung der Fraktion. Die Fraktionsmehrheit machte deutlich, daß sie weiterhin eine Zweistaatlichkeit befürworte, angesichts des in letzter Zeit offenbar gewordenen Wunsches der Menschen in der DDR scheine es nun aber notwendig, den Vereinigungsprozeß mitzugestalten. Die Fraktionsvorsitzende Antje Vollmer rief allerdings dazu auf, „beides zu denken“ - sowohl die von den Grünen favorisierte Konförderation als auch eine Vereinigung.

In der Erklärung wurde - wie in der Vergangenheit - auf das Selbstbestimmungsrecht der DDR-BürgerInnen hingewiesen. Die Grünen ParlamentarierInnen plädierten zugleich für eine „vertraglich abgesicherte Kooperation beider deutscher Staaten“, mit der das Wohlstandsgefälle abgebaut werden soll und wodurch „in einem geregelten Nebeneinander“ der Prozeß des europäischen Zusammenwachsens organisiert werden könnte. Dies sollte im Rahmen einer „ökologischen Konföderation“ geschehen, heißt es in dem Papier. „Ein bloßes Überstülpen der BRD-Verhältnisse“ auf die DDR wird abgelehnt. Die Grünen müßten sich in die „reale Entwicklung einmischen“, meinte Antje Vollmer. Fraktionsvorständler Willi Hoss betonte, die Vereinigung sei weder aufzuhalten noch zu verlangsamen. Derzeit laufe die Entwicklung an den Grünen vorbei, die in der Vergangenheit lediglich wirtschaftliche und humanitäre Hilfen für die DDR befürwortet hatten. Joschka Fischer vertrat die Ansicht, die Grünen müßten unter dem Druck der Ereignisse das Prinzip der Zweistaatlichkeit aufgeben und ein europäisch integriertes, dezentrales Deutschland mitgestalten. Während es der Abgeordnete Dietrich Wetzel eine „bittere Erfahrung“ nannte, daß die Zweistatlichkeit nicht mehr haltbar sei, weil damit keine praktische Politik mehr zu machen sei, betonte der Neuvereinigungsbefürworter Alfred Mechtersheimer, die Grünen hätten sich mit ihrem Festhalten an der „doktrinären Position der Zweistaatlichkeit“ selbst ins Abseits manövriert. Mehrere FraktionärInnen forderten, nun müßten vor allem die negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen einer Vereinigung abgewehrt werden. Der Abgeordnete Hubert Kleinert propagierte ein „ökologisches Umbauprogramm“ für ganz Deutschland. Willi Hoss regte an, die Initiative für eine verfassungsgebende Versammlung zu ergreifen, um eine neue Verfassung fortschrittlich ausgestalten zu können. Im völligen Gegensatz dazu beharrte die Westberliner Ökosozialistin Siggi Fries ausdrücklich auf der Forderung nach Zweistaatlichkeit. Auch wenn die Partei damit in der Minderheit sei, gäbe es „gute Gründe“, gegen ein vereinigtes Deutschland zu kämpfen. Jutta Oesterle-Schwerin nannte es eine „Illusion“, die deutsche Vereinigung mitgestalten zu wollen; es bliebe lediglich, die kommenden Entwicklungen abzuwehren.

Die Fraktionsmehrheit befürwortete aber die Einrichtung eines Wahlunterstützungsbüros in West-Berlin. Die zwölf MitarbeiterInnen sollen „grün-demokratische“ Gruppen in der DDR bei der Volkskammerwahl „auf Anforderung“ unterstützen. Über die finanzelle Ausstattung - ursprünglich wurden zwei Millionen Mark gefordert - wird der Bundesvorstand entscheiden. Ausdrücklich sollen Hilfe und Geld nicht Gruppen wie der „Vereinigten Linken“ zukommen, die bislang von der linken Alternativen Liste in West-Berlin unterstützt wird. Genannt werden im Beschluß nur das Neue Forum, Demokratie Jetzt, die Grünen und die Initiative für Demokratie und Menschenrechte, die von den bundesdeutschen Grünen auch aufgerufen worden waren, ein Wahlbündnis einzugehen. Falls die grüne Bewegung in der DDR bei den Wahlen am 18.März scheitern sollte, werde das negative Auswirkungen auf die parlamentarische Vertretung der bundesdeutschen Grünen haben, warnte der Büroinitiator Dietrich Wetzel.

Antje Vollmer, die gegen Ende der Thesenberatung nicht mehr anwesend war, hat sich inzwischen von der Schlußfassung distanziert. Sie betrachtet die Resolution als unlogisch, denn man könne nicht sagen, die Zweistaatlichkeit habe keine Basis mehr und gleichzeitig die „ökologische Konföderation“ fordern.