Engpässe in einem sozialistischen Musterbetrieb

■ Besuch auf der Rostocker Warnow-Werft: Volle Auslastung, aber Probleme mit den Zulieferern / Bremer Vulkan bislang ohne Interesse

Nehmen wir mal an, Friedrich Hennemann, Chef des Bremer Vulkan, hätte sich in einer Tischlerei der Werft eine Küche für sein Wochenendhaus bauen lassen. Das wird auf einer Betriebversammlung ruchbar. Die Arbeiter sind die Privilegienwirtschaft leid. Rücktrittsforderungen werden laut. Es kommt zu Tumulten. Undenkbar im bundesrepublikanischen Vergünstigungsalltag. Und doch glaubt Walter Behlich, Ökonom, Ingenieur und Direktor des VEB Warnowwerft sich in dieser Beziehung noch etwas von einem bundesdeutschen Kapitalisten abgucken zu können: „Das muß ich noch von einem Unternehmer im Kapitalismus lernen. Sich am Abend mit Tomaten und Eiern beschmeißen lassen und am nächsten Tag in den Betrieb fahren, als wenn nichts gewesen wäre.“

Zwei turbulente Betriebsversammlungen liegen mittlerweile zwei Monate zurück. Inzwischen hat sich die Stimmung auf der Werft beruhigt. Kein Problem, den Bremer Journalisten nach kurzfristiger Vereinbarung und gleich zwei Stunden über das weitläufige Gelände der Werft zu führen. Einer Werft, die im Gegensatz zu den bundesdeutschen Schiffbauunternehmen einen entscheidenden Schritt voraus ist: Hier muß nicht eilig nachgeholt werden, was in Sachen Rüstungs

konversion zum Beispiel in Bremen seit Jahren verschlafen wurde. Auf der Warnow-Werft liefen bis heute nur zivile Schiffe vom Stapel. Und darauf ist Direktor Behlich stolz.

Stolz ist Behlich auch in anderer Hinsicht. Denn die Warnowwerft, sagt er, sei schon eine Art sozialistischer Musterbetrieb. Sein Referent Holger Haefke hat die Zahlen. Knapp 6.000 Beschäftigte arbeiten auf der Werft. 3.500 sind damit beschäftigt Handelsschiffe vor allem für die Sowjetunion zu bauen. 400 entwickeln am Reißbrett neue Frachter, gut 1.000 sitzen in der Verwaltung. Arbeit und Auskommen sind auch für die nächsten Jahre gesichert, denn die Auftragsbücher sind bis 1993 gefüllt. Aus Mangel an Fachkräften kann der Betrieb derzeit die vorhandenen Kapazitäten nicht einmal ausnutzen. Mit einem Vierfarb -Faltblatt wird nach Arbeitern gesucht.

„Uns wird von den Kunden bescheinigt, daß wir Schiffskörper in hervorragender Qualität abliefern“, sagt Haefker. Doch ein Schiff ist mehr als der Stahlbauch. Und hier beginnen die Probleme des Betriebes. Die Zulieferer kommen nicht hinterher. So wird es im Bereich der Schiffsmotoren in diesem Jahr Engpässe geben. Und auch die in der DDR produzierte Schiffselektronik ist nicht so schnell fertig, wie sie be

nötigt würde, um unrentabele Wartezeiten zu vermeiden.

Ein Ansatzpunkt, um mit bundesdeutschen Werften ins Geschäft zu kommen? Chancen auch für den Bremer Vulkan? „Vom Vulkan hat sich hier noch niemand sehen lassen“, sagt Haefker mit leicht enttäuschtem Unterton in Richtung Bremen. Da sind die Kollegen aus Kiel schneller gewesen. HDW hat gerade Gespräche

in Rostock geführt, um eventuell zu einer Zusammenarbeit zu kommen. Motto: Ihr liefert den Schiffskörper, wir die High -Tech-Innereien.

Auch wenn Direktor Belich bislang nicht die Absicht hat, aus dem Volkseigenen Betrieb in absehbarer Zeit eine Aktiengesellschaft oder eine GmbH mit Westgeld-Beteiligung zu machen, die neue innerbetriebliche Ausrich

tung der Werft spricht eine klare Sprache: Die Schlagworte heißen Rationalisierung und Leistungsdruck. Die ersten „Bummelanten“ sind entlassen, die Einführung stärker leistungsbetonter Löhne beschlossene Sache. Und daß es bei den bislang vom Betrieb unterhaltenen sozialen und kulturellen Einrichtungen bleibt, ist noch nicht absehbar. Bislang bezuschußt die Werft eine Polyk

linik mit 21 Fachärzten, Kindergärten, Arbeiterwohnheime, Kinderkrippen, Ferienlager und eine riesige Kantine mit warmem Essen zum Billigstpreis. Ein neun Millionen Sozialfond steht noch dafür zur Verfügung.

Anders als in der Bundesrepublik wird auf der Warnowwerft nicht darüber nachgedacht, neue Produktionsschwerpunkte im schiffbaufremden Bereich zu entwickeln. Eher unwillig wird hier mitproduziert, was der Plan der Werft aufdiktiert hat: Anhänger für Trabis, Wohnwagen, Hacken und Anbauwände aus der Schiffbautischlerei.

120 Werftarbeiter haben nach der Öffnung der Grenze Rostock in Richtung Bundesrepublik verlassen. Ein Aderlaß, den Direktor Belich nicht besonders ernst nimmt. Er kenne fast jeden der Beschäftigten mit Vornamen, sagt er. Von denen die gegangen sind, habe er nicht einen gekannt. Stolz eines Firmenpatriarchen. Und stolz ist auch sein Referent. Den Werbeslogan des NDR hat er für die Werft umgedichtet: „Die Warnowwerft - das Beste am Norden.“ Was die Arbeiter denn doch offensichtlich nicht alle so sehen. Beim Gang durch eine der Hallen kommt zischelnde Unruhe auf. Einer ruft halblaut: „Paß auf, daß Du Dich nicht schmutzig machst.“

Holger Bruns-Kösters