„Ich glaube an die Berliner“

■ Interview mit der Filmemacherin Irmgard von zur Mühlen, deren Dokumentarfilm „Berlin unter den Alliierten“ im Begleitprogramm der Berlinale gezeigt wird

Berlin, im Sommer 1945. Trümmerfrauen klopfen Steine, befreien die Ziegelquader vom alten Mörtel, räumen den Schutt in Eimern weg und schichten das neu gewonnene Baumaterial zu ordentlichen Haufen auf. Bilder, die in Irmgard von zur Mühlens gestern fertiggestellten Film „Berlin unter den Alliierten, Hoffnungen und Entäuschungen 1945 bis 1949“ zu sehen sind. Unterlegt wird die Filmszene mit kommentierenden privaten Erinnerungen von Zeitzeuginnen und deutlich wird das Bestreben, wie den Schutt, auch die Vergangenheit wegzuräumen. Der Dokumentarfilm, letzter Teil eines Zyklus über die Geschichte von Berlin, zeigt die Hoffnung auf ein neues privates und politisches Leben, die die Menschen 1945 erfüllte und die sich anbahnende Ost-West -Konfrontation. Montiert und geschnitten wurde der Film nach dem 9. November. Die taz sprach nach der Uraufführung mit Frau von zur Mühlen.

taz: Ist die Nachkriegszeit jetzt durch die Öffnung der Grenzen beendet.

Von zur Mühlen: Nein, es beginnt ein neues Kapitel, zu Ende ist die Nachkriegszeit nicht. Wir können und dürfen die Vergangenheit nicht abschütteln. In gewisser Weise schließen wir allerdings an das Jahr 1949 an. Wenn ich die Filmaufnahmen und die zeitgenössischen Aussagen mit den heutigen Kommentaren und der Aufbruchstimmung vergleiche, dann sehe ich Parallelen. Es gibt heute in der DDR die Auseinandersetzung darüber, wie die Wirtschaft und die Demokratie gestaltet werden können. Das sind Debatten die die Menschen 1946 bis 1949 leidenschaftlich führten. Ich erinnere nur an Vorstellungen von Kurt Schuhmacher 1949.

Mir fällt eine andere Parallele zu heute auf. Die Menschen in der DDR werfen, wie 1945 alle Deutschen, die Vergangenheit über Bord. Plötzlich haben sie mit 40 Jahren SED-Herrschaft nichts zu tun.

Ja, sie wollen nicht zurückschauen, sondern nur nach vorne sehen. Aber ich finde nicht, daß die Menschen nach dem Krieg ihre Vergangenheit geleugnet haben, im Film versuche ich das durch die großen antifaschistischen Gedenktage zu zeigen. Diese Veranstaltungen waren nicht nur vom Magistrat angeordnet, sondern die Menschen wollten da hingehen. Die Haltung zu den Nazis war sehr unterschiedlich aber entscheidend war, daß man nach 1945 wirklich um eine Demokratie stritt. Und das tun die Menschen in der DDR jetzt auch.

Ihr Film heißt „Berlin unter den Alliierten“. Wurden die Alliierten 1945 als Befreier oder Besetzer gesehen?

Das war auch sehr unterschiedlich. Die Russen wurden mit Ausnahme der ersten Wochen gar nicht so negativ gesehen, wie es später immer dargestellt wurde. Im Kalten Krieg wurde der Russe immer als was ganz Furchtbares hingestellt, aber das wurde von den Leuten nicht so empfunden. Die Amerikaner zum Beispiel wirkten auf die Menschen anfänglich sehr arrogant, das „non-fraternization„-Gesetz bewirkte, daß jeglicher Kontakt unmöglich war. Die Russen spielten mit den Kindern und redeten auf den Straßen mit der Bevölkerung, die Amerikaner nicht, erst viel später.

Jetzt wird die Wiedervereinigung der beiden Deutschlands gefordert und Berlin wird vielleicht wieder Hauptstadt. Ist das nicht doch ein Anschluß an alte Zeiten. Fürchten Sie eine Wiedervereinigung?

Nein, das Wesentliche ist, daß die Menschen Zeit haben, das wirklich selber zu entscheiden, aber ich habe Angst vor einem neuen Nationalismus. In Leipzig wurde es mir wirklich Himmelangst - aber in Bayern muß man davor auch Sorge haben. Ich glaube an die Berliner, daß sie etwas wacher und heller sind, daß sie aufmerksamer auf jede nationalistische Stimmung reagieren.

Wollen Sie Berlin als Hauptstadt?

Ich beschäftige mich seit Jahren mit Berlin und da kann man gar nicht anders denken, als das Berlin wieder Hauptstadt wird. Berlin birgt alle Voraussetzungen einer Hauptstadt in sich. Es ist der lebendigste Punkt zwischen Ost und West, die Menschen erkennen am deutlichsten die Ost-West -Problematik und haben sich am längsten damit auseinandergesetzt. Gerade deswegen könnten sie auch am tolerantesten sein und vor dem Krieg waren sie es ja auch. Daran kann man anknüpfen.

Wenn die beiden Deutschlands sich neu vereinigen und Berlin Hauptstadt wird, sollen die Alliierten bleiben?

Ja warum denn nicht, die können doch als Freunde hier bleiben, mich stören sie nicht.

Interview: Anita Kugler