Berlin: Hauptstadt der Stammsitze?

■ Wirtschaftsstandort Berlin wird seit der Maueröffnung für Unternehmen attraktiver / AEG und Opel wollen zum Verkauf ausgeschriebene Grundstücke behalten / Sony streckt Fühler aus / Hertie wieder nach Berlin?

Seit Öffnung der Grenzen werfen viele in Berlin ansässige Unternehmen ihre Zukunftspläne um. Beabsichtigte Immobilien und Grundstücksverkäufe werden storniert, Firmen überlegen, ob sie ihr Berlin-Engagement verstärken oder ihre Stammsitze wieder in die alte Hauptstadt verlegen sollen.

Beispiel Opel: Eine Filiale der Rüsselsheimer Automobilfirma gibt es in Berlin schon lange. Schon vor dem Ersten Weltkrieg kaufte sie ein großes Grundstück in der Bessemer Straße mitten in Steglitz. Rund 80 Jahre lang wurden dort Automobile verkauft. Die Filiale in der Bessemer Straße ist die einzige bundesdeutsche Opel-Verkaufsstelle, die bis heute nicht an einen auf eigene Rechnung und Risiko handelnden Opel-Großhändler verkauft wurde. Das sollte 1989 anders werden, nachdem die Filiale schon lange Zeit rote Zahlen geschrieben hatte. Viele Monate suchte die Mutterfirma einen potenten Käufer, der nicht nur Haus und Boden übernehmen sollte, sondern auch die langfristige Verpflichtung Opel-PKW zu verkaufen.

Heute ist der Plan längst vom Tisch. Sämtliche Verkaufsabsichten wurden fallengelassen, in Rüsselsheim eine neue Strategiedebatte begonnen. Haus, Hof und Boden werden nach Auskunft der Geschäftsleitung im Besitz des amerikanischen Mutterkonzerns bleiben.

Beispiel AEG: Der Konzern war bis zum November 1989 bereit, sein Grundstück an der Holländerstraße in Reinickendorf meistbietend zu verkaufen. „Berlin ist seit dem 9. November noch interessanter geworden“, erklärte AEG-Chef Heinz Dürr kürzlich auf einer Arbeitsmarktkonferenz der IG-Metall in Berlin. Erste Rauchzeichen für ein gesteigertes AEG -Engagement: das Grundstück wird nicht verkauft und eine AEG -„Akademie für Automatisierungstechnik“ in Berlin demnächst gegründet.

Sonst wird in Berlin vor allem in der Gerüchteküche herumgerührt. Als erster ernsthafter Kandidat für die Rückverlegung des Stammsitzes nach Berlin wird in Wirtschaftskreisen der Warenhauskonzern Hertie gehandelt. Das Unternehmen würde bei solch einer Entscheidung an alte Traditionen anknüpfen, das Stammhaus, der „arisierte“ Hermann-Tietz-Konzern lag mitten im Zentrum der Stadt, auf dem Potsdamer Platz. Umzugspläne werden von der Frankfurter Hauptverwaltung zwar heftig dementiert, aber Frankfurter Betriebsratsmitglieder wurden in letzter Zeit häufig in Berlin gesichtet.

Das in der Regel gut informierte 'Handelsblatt‘ hört ebenfalls das Gras wachsen. Der japanische Sony Konzern wolle zwar den deutschen Hauptsitz in Köln nicht verlassen, flirte aber mit der Berliner Krone AG, die einen Partner für den Bereich Telekommunikation sucht. „Sonys Interesse an Krone wird nicht bestritten“, schreibt das Blatt.

Haupthindernis für Berlin-Schnellschüsse dürfte allerdings das äußerst knappe Immobilien- und Grundstücksangebot in der Stadt sein. Die größte unbebaute Fläche in der Innenstadt, der ehemalige „Todesstreifen“ steht noch nicht zur Disposition.

ak