Friedrich Schorlemmer

Am meisten regt ihn auf, wenn die CDUler, die noch im vergangenen Mai „bei der Kommunalwahl so heldenhaft geschwiegen haben“, sich jetzt auf der wöchentlichen Demo hinstellen und sich samt dem Modell BRD (das „mit dem breiten Mittelstand“) den Bürgern als Alternative anpreisen. Da packt Friedrich Schorlemmer (45), Pfarrer an der Schloßkirche zu Wittenberg, jener heilige Zorn, mit dem weiland Martin Luther seine 95 Thesen gegen die Pharisäer des Ablaßhandels an die Pforte eben dieser Kirche genagelt hatte.

Während Gerald Götting, gegen den die DDR -Staatsanwaltschaft nächste Woche Anklage wegen „Vergeudung staatlicher Mittel und Ressourcen“ erheben wird, noch CDU -Vorsitzender und Volkskammer-Abgeordneter der Wittenberger CDU war und brav die Hand mit Erich Honecker hob, war die kirchliche Basisgruppe, die sich vor rund zehn Jahren um Schorlemmer gebildet hatte, bevorzugtes Schnüffelobjekt des VEB Guck, Horch und Greif - vor allem, seit sie im Juni 1988 der Evangelischen Synode ihre regimekritischen „Wittenberger Thesen“ vorgelegt hat.

Schorlemmer erzählt, daß er „seit dem 14.Lebensjahr mit der Stasi zu tun“ hatte. 1962 verweigerte er den Wehrdienst als „Pazifist“ - diesen Begriff will er aber „nicht leidend“, sondern offensiv verstanden wissen.

Er und seine Basisgruppe haben im vergangenen Jahr die Bürgerbewegung „Demokratischer Aufbruch“ gegründet, „damit das Volk auf allen Ebenen beteiligt wird“, wurden dann aber von einer rechtsliberalen Mehrheit ins Aus gedrängt. Im Januar traten sie geschlossen zur SPD über, und Schorlemmer hielt seine erste Wahlkampfrede auf dem Marktplatz.

Seit dem Herbst findet jeden Dienstagabend das „Gebet für Erneuerung“ statt - gleichzeitig in Schloß- und Stadtkirche, weil selbst die Stadtkirche mit ihren 2.500 Plätzen nicht ausreicht. Dort hält sich Schorlemmer mit Parteipolitik zurück, versucht, die brav zuhörenden Wittenberger mit beziehungsreichen Kirchenliedern („Bleibet hier, und wachet mit mir“) aus der Rette-sich-wer-kann-Stimmung zu reißen, während ein paar Teenies mit ihren schwarz-rot-goldenen Fahnen unter den mißbilligenden Blicken der älteren die Wendeltreppe zur Empore auf und ab poltern. Seine „Meditation“ - statt Predigt - warnt vor dem Nicht -Engagement, mit dem biblischen Gleichnis vom Dornbusch, der zum König über die Bäume wird, weil sich der Ölbaum und der Feigenbaum zu fein dafür sind. „Wer nichts tut, der tut auch nichts Falsches“ - von dieser Maxime hält Schorlemmer eben gar nichts. Lieber geht er zur SPD und sagt gleich dazu, daß er nicht weiß, ob sie nach den Wahlen noch seine Partei sein wird. Eigentlich gehört seine Sympathie („ökologisch-sozial

-in dieser Reihenfolge“) ja auch den Grünen...

mr