Schweden: Notbremse vor dem großen Streik

Regierung beschließt Streik- und Aussperrungsverbot / Lohn- und Preisstopp bis Ende '91  ■  Aus Stockholm Reinhard Wolff

Einen bislang einmaligen staatlichen Eingriff in die Tarifhoheit hat die Sozialdemokratische Partei Schwedens beschlossen. Neben einem bis Ende des nächsten Jahres befristeten generellen Preis- und Lohnstopp sind ab dem 15.Februar alle Streiks und Aussperrungen verboten. Mit dieser autoritären Maßnahme soll die allgemeine „Friedenspflicht“ im konfliktuellen schwedischen Alltag durchgesetzt werden.

Ministerpräsident Carlsson hat damit die Notbremse gezogen. Seit vergangenem Herbst ist kaum ein Tarifvertrag ohne Streiks und/oder Aussperrungen unter Dach und Fach gekommen. Im Zentrum der Tarifkämpfe stehen seit geraumer Zeit die Banken, die bereits in der zweiten Woche wegen Aussperrung geschlossen sind. Für Mitte nächster Woche drohte den Schweden das Hereinbrechen eines mittleren Chaos‘. Ab 14.Februar wollten die Angestellten im öffentlichen Nahverkehr sowie ein Großteil der kommunalen Bediensteten streiken. Vor allem der angekündigte Streik der Angestellten der Kindergärten und Vorschulen versprach durchschlagende Auswirkungen auf die Wirtschaft zu haben: Die rekordhohe Beschäftigungsquote bei den Frauen ist nur wegen des gut ausgebauten Systems der Kinderbetreuung möglich. Ein Streik

-und Mütter und Väter fehlen am Arbeitsplatz. Damit hätten Produktionsausfälle auch in solchen Branchen gedroht, die bislang vom Streikfieber noch nicht befallen waren.

In bester sozialdemokratisch-korporatistischer Manier stützt der Gewerkschaftsdachverband offiziell das Maßnahmepaket der Regierung - schließlich sitzen auch in Schweden alle in einem Boot und dürfen die Lohnabhängigen „ihre“ Regierung nicht durch unkontrollierte Streiks gefährden. Aber der Dachverband ist auch in Schweden nicht die bloße Aggregation der gewerkschaftlichen Einzelinteressen. Aus einzelnen Gewerkschaften kam entsprechend bereits empfindliche Kritik: „Panik“, „Bananenrepublik“ und „Abbau grundlegender Errungenschaften der Arbeiterbewegung “ zählten noch zu den harmloseren Kommentaren. Da ein Preisstopp - im Gegensatz zum Lohnstopp

-allen historischen Erfahrungen nach nicht wirksam zu kontrollieren ist, darf bei der Durchschnittsfamilie Svensson mit empfindlichen Kaufkrafteinbußen gerechnet werden. Umgekehrt dürften die Unternehmen die Gelegenheit nützen und mit allen verfügbaren Tricks ihre Erlöse zu steigern versuchen. Dies dürfte ihnen um so leichter fallen, als der Preisstopp für Importwaren überhaupt nicht gilt.

Mit einem Leistungsabbau vor allem im Bereich der Kinder und Altenbetreuung ist darüber hinaus zu rechnen, weil die Regierung den Kommunen bis Ende 1991 verboten hat, kommunale Steuern und Abgaben zu erhöhen. Bei der Erhöhung der staatlichen Mehrwertsteuer ab 1.März auf verschiedene Konsumgüter, wie Benzin und Elektrizität, bleibt es demgegenüber.

Da Ingvar Carlssons Sozialdemokraten im Reichstag keine eigene Mehrheit haben, brauchen sie noch Stimmen von rechts oder links, damit die geplanten Maßnahmen Gesetz werden können. Die Stimmen der Linkspartei-Kommunisten waren Carlsson bislang im allgemeinen sicher, vermutlich werden diese seine Regierung auch bei der entscheidenden Abstimmung am kommenden Dienstag über die Hürde heben. Falls nicht, will er zurücktreten und Neuwahlen ausschreiben.