Ganz Europa im Besitz der Sozialdemokratie

Sozialdemokratische Parteichefs aus fünfzehn europäischen Ländern bei erster Wahlveranstaltung in Ost-Berlin  ■  Aus Ost-Berlin Petra Bornhöft

Hätte es noch eines Beweises bedurft, daß die vier Monate junge SPD der DDR keinen eigenständigen, neuen Weg innerhalb der sozialdemokratischen Familie sucht - das Schauspiel auf den Brettern der Ost-Berliner Volksbühne am Mittwoch abend lieferte den Beleg. Achtzehn rötliche Parteichefs aus fünfzehn europäischen Staaten wünschten der jüngsten Schwester durchschlagenden Erfolg bei den Volkskammerwahlen am 18. März. Der Wahlsieg sei für die „sozialdemokratische Familie Westeuropas wichtig“, sagte der belgische Sozialistenführer und Vorsitzende des Bundes der Sozialdemokraten, Guy Spitaels, weil das Datum die „Serie der Wahlen in Osteuropa eröffnet“. Sie sollen den vom Ersten Sekretär der französischen Sozialisten, Pierre Mauroy konstatierten, „ideologischen Sieg“ auf dem Kontinent festigen.

In den Genuß Wahlkampf-üblicher Sprechblasen auf dieser „Veranstaltung von historischem Rang“ (DDR-SPD), kam nicht etwa nur das handverlesene Publikum, das zum Teil wegen schlechter Verkehrsverbindungen nicht von Sachsen nach Berlin gelangt war - das DDR-Fernsehen strahlte die Werbung republikweit aus. Zwar hatte Johannes Rau noch drei Tage vorher gesagt, man wolle den „Eindruck vermeiden, wir Sozialdemokraten kämen wie die Heuschrecken in die DDR“, zwar hatte der Runde Tisch sich Wahlkampfauftritte verbeten. Doch wen kümmert's? Hans-Jochen Vogel jedenfalls nicht. Spitzfindig unterschied er zwischen „Entscheidungen und Empfehlungen des Runden Tisches“. Auf die taz-Frage, ob diese neue Differenzierung nicht reichlich schlitzohrig sei, entgegnete der SPD-Chef kiebig: „Für wen arbeiten Sie“? Der östereichische Partei-Vize Heinz Fischer auf dem Podium: „Wir mischen uns in gar nix ein. Die Freiheit der Information ist ein wesentlicher Bestandteil der Demokratie“.

Den Inhalt der in fünfzehn Versionen vorgetragenen „Information“ brachte Fischer so auf den Punkt: „Sozialdemokraten in der Regierung haben bewiesen, erstens: Sie können die Demokratie funktionsfähig halten. Zweitens: Sie können die Wirtschaft erfolgreich führen und drittens dabei die soziale Komponente ausreichend berücksichtigen“. Auf vergleichbarem Niveau und ähnlicher Konkretionsstufe bewegten sich alle auch von DDR-SPD-Geschäftsführer Ibrahim Böhme beklatschten Beiträge.

Kein einziger Parteichef, der nicht „tief bewegt“ am Tische saß. Kein einziger, der unter der Tafel „Europa unsere Zukunft“ die deutsche Einheit in Frage stellte. „Unwahrscheinlich beeindruckt“ war Ben Fayot aus Luxemburg, daß „die lieben Freunde in der DDR die Frage der deutschen Einheit mit Rücksicht auf die kleinen Länder verbinden“. Der Däne Svend Auken wischte Ängste „und viele bittere Erinnerungen aus der Zeit der deutschen Besetzung“ weg mit den Worten: „Die DDR hat gezeigt, daß Deutschland sich für eine Demokratie entschieden hat“. Logo, von Parteienoligarchie sprach niemand.

Ebensowenig von konkreten Schritten zur „deutschen Einheit im Rahmen der europäischen Konföderation“. Hans-Jochen Vogel schwadronierte über „eine Wirtschafts- und Währungsunion in allernächster Zeit“. Den Vorschlag eines „Marshall-Planes von Westeuropa für Osteuropa“ steuerte Gro Harlem Brundtland (Norwegen) bei. Irgendwie wird's schon gehen mit der „klaren Vision eines konföderierten Europa“ versprach Papandreou aus Athen. Solange es um die Formeln sozialdemokratischer Gesellschaftskonzepte - „frei, sozial, europäisch“ geht, ist die Familie sich einig. Strittige Fragen, wie etwa das Problem der militärischen Bündnisse und die Strategien der Atommächte Frankreich oder Großbritannien, verkleisterten die Parteichefs. Pierre Mauroy eierte namens der Regierungssozialisten rum, die „militärischen Probleme könnten in einer europäischen Konföderation gelöst werden“. Londons Oppositionsführer Neil Kinnock hingegen plädierte für sofortige Verhandlungen über ein atomwaffenfreies Europa.

Garantiert einheitlich werden Sozialdemokraten „niemals die Solidarität mit der Dritten Welt vergessen“, prophezeite der Spanier Jose Benegaz, dessen Partei der Wahlsieg genauso in den Schoß gefallen ist wie jetzt vermutlich der DDR-SPD. Der heutige Ministerpräsident Felipe Gonzalez erlebte in Spanien den gleichen kometenhaften Aufstieg wie Ibrahim Böhme in der DDR. Der Bejubelte schien sich nicht unwohl zu fühlen auf der Bühne der hochkarätigen Prominenz und benutzte die gleichen Worthülsen. Doch er suchte im Publikum „Menschen die schon vor der Wende eine Rolle gespielt und sich engagiert haben“. Vier bekannte Gesichter entdeckte Böhme unter den mehreren hundert ZuschauerInnen. Sie erhielten Beifall. Jubel hingegen löste Italiens Sozialistenchef Bettino Craxi aus: „Die Entwicklung in West- und Osteuropa fließt in eine große sozialdemokratische Bewegung“. So soll's sein. Ibrahim Böhmes erster Wunsch: „Sorgen wir dafür, daß die SPD sich nach dem 18. März mit wenigstens 51 Prozent ihre Koalitionspartner aussuchen kann“.