Neuwied: Paragraph-218-Prozeß auf der Kippe

■ Staatsanwalt muß Anklage gegen Frauenarzt revidieren

Mainz/Koblenz (taz) - Der §-218-Prozeß gegen den Neuwieder Frauenarzt Atis Ergüven gerät ins Wanken: Nach Informationen der taz muß die Koblenzer Staatsanwaltschaft derzeit ihre Anklage wegen illegalen Abbruchs von Schwangerschaften revidieren, wenn nicht gar zurückziehen. Wie der Koblenzer Leitende Oberstaatsanwalt Norbert Weise bestätigte, haben neue Unterlagen, die Ergüven nachgereicht hat, den Sachstand derart verändert, daß eventuell sogar nochmals Ermittlungen aufgenommen werden müssen.

Dem Neuwieder Arzt wird vorgeworfen, in 78 Fällen bei Abtreibungen gegen die Paragraphen 218 bzw. 219 verstoßen zu haben. In ursprünglich 56 Fällen wurde Ergüven zur Last gelegt, er habe die Notlagenindikation seiner Patientinnen nicht selbst überprüft. Daraus bastelte die Koblenzer Staatsanwaltschaft eine rechtlich umstrittene Anklage auf „Versuch“ eines illegalen Schwangerschaftsabbruchs. Denn im Wortlaut des Paragraphen 218 ist keine Rede davon, daß der Arzt, der die Abtreibung vornimmt, auch verpflichtet ist, die Indikationen noch einmal nachzuprüfen. Hier, anders als in den berüchtigten Memminger Prozessen, wird die Notlage der Frauen selbst nicht angezweifelt. Offenbar bereitet der Neuwieder Fall den Ermittlern jetzt arges Kopfzerbrechen. Zehn Fälle wurden bereits aus der Anklage gestrichen. Weise hält es für möglich, daß weitere folgen. Die Entscheidung, ob die Anklage nach § 218 überhaupt noch Bestand hat, fällt voraussichtlich in einem Monat.

In 21 Fällen wird Ergüven vorgeworfen, den Abbruch vorgenommen zu haben, ohne die Indikationsfeststellung eines anderen Arztes eingeholt zu haben (§ 219 StGB). Nun aber bröckelt die Anklage auch an diesem Punkt. Denn die neuen Unterlagen (Überweisungen und Atteste) entkräften einen Teil der Vorwürfe. Offenbar hat Ergüvens Ehefrau, eine Ärztin, die notwendigen Indikationen ausgeschrieben.

Der Neuwieder Fall hatte schon während der Ermittlungen die Gemüter erhitzt. So wurden die Zeuginnen anfangs nach einem rechtswidrigen Fragebogen vernommen. Die Frauen mußten dabei auf Fragen antworten wie: „Würde die Zeugin noch einmal abtreiben?“ Der Mainzer Justizminister Peter Caesar (FDP) zog den Bogen schließlich aus dem Verkehr.

Der Neuwieder Arzt muß sich aber auf jeden Fall vom 1. März an zweimal pro Woche in Koblenz vor Gericht verantworten: wegen Verdachts auf Abrechnungsbetrug mit Rezepten. Ergüvens Binger Rechtsanwalt Müller-Heidelberg kommentierte: „Selbst wenn der Arzt freigesprochen wird - die Praxis ist dann tot.“

jow