USA reden vom Frieden und schüren Krieg

■ Bei den Moskauer Gesprächen denken die USA immer noch an Nachschub für den afghanischen Widerstand

Die Palette von Abrüstungsfragen, die US-Außenminister Baker mit seinem Amtskollegen Schewardnadse seit gestern in Moskau bespricht, umfaßt auch den nach dem Abzug der sowjetischen Truppen vor einem Jahr andauernden Afghanistan-Konflikt. Noch immer setzen die USA auf die militärische Karte. Je länger aber die internen Konflikte der Mudschaheddin einer gemeinsamen Militärstrategie im Wege stehen, desto fester sitzt Staatschef Nadschibullah im Sattel.

Genau vor einem Jahr traf im Nationalen Sicherheitsrat in Washington die Beratergruppe des neu gewählten Präsidenten Georg Bush zusammen, um sich auf das sensationellste Ereignis seit den Zeiten des Kalten Krieges vorzubereiten: Innerhalb von sechs Tagen würden die letzten der 100.000 sowjetischen Soldaten in die Heimat zurückkehren - erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg mußte sich die Rote Armee aus einem Land, das sie über Jahre besetzt gehalten hatte, unter Beschuß zurückziehen. Jetzt stand nur noch die schwache Kabuler Regierung dem Sieg der Mudschaheddin - den Nutznießern der größten Geheimoperation des CIA - im Wege.

Bei dem Treffen gab man sich optimistisch; in Kürze sei mit massiven Überläufen aus der afghanischen Armee zu rechnen, innerhalb von drei Monaten sollte das kommunistische Regime kollabieren, manche tippten auf wenige Tage, andere sprachen von einem halben Jahr. Als die Sowjets in letzter Minute einen beidseitigen Stopp der Waffenlieferungen vorschlugen, schien das nur ein weiteres Indiz für die schwache Position des Nadschibullah-Regimes. Die Empfehlungen der Berastergruppe waren eindeutig: die Mudschaheddin sollten für die letzte Phase des Kampfes gut ausgestattet und die Beziehungen zum neuen afghanischen Regime schon mal vorbereitet werden.

Doch die Geschichte selbst sollte den US-Geheimdienst in seiner Einschätzung über die Schwäche des Kabuler Regimes Lügen strafen - in einer Zeit, da andere sowjettreue Regimes durch die unvorhersehbare Dynamik hinweggefegt wurden. Das Nadschibullah-Regime sitzt heute fester denn je im Sattel. Und diese Stärke ist es auch, die Washington dazu veranlaßte, in dieser Woche erneut Gespräche über eine politische Lösung aufzunehmen.

Die gleichen Kreise, die schon im vergangenen Jahr einen Sieg der Aufständischen vorhergesagt hatten, wollen es noch einmal wissen. Gegenwärtig drängen die USA und Pakistan die Mudschaheddin, den Kampf fortzusetzen und sich zu einer weiteren Schaura-Versammlung, dem Rat der Mudschaheddin, zu bequemen, die alsbald eine „repräsentativere“ afghanische Übergangsregierung bilden soll. Später, in einem Jahr vielleicht, soll diese die Übernahmeverhandlungen führen, wenn Nadschibullah und seine Mitstreiter zum Rücktritt bereit sind. Um dieses Zugeständnis zu erzwingen, sollen die Mudschaheddin unterdessen ihre Angriffe intensivieren und ihre Kampfstrategie verbessern. Mit anderen Worten, trotz aller freundlichen Worte in Moskau bereiten sich die USA auf eine weitere blutige „Kriegssaison“ vor.

Eine kleine Gruppe von Hardlinern, mit Unterstützung einflußreicher Konservativer im US-Kongreß, dominiert noch immer die Afghanistan-Politik der USA. Es sind Männer, die festes Vertrauen in die Fähigkeiten der Mudschaheddin entwickelt haben: Robert Oakley, US-Botschafter in Pakistan, Richard Haass, der Mann des National Security Congress in Afghanistan-Fragen, die Senatoren Humphrey und McCollum sowie Congressman Wilson - seit Jahren die wichtigsten Interessenvertreter der Mudschaheddin; und last but not least CIA-Beamte, die das teuerste Unternehmen des Geheimdienstes auf den Weg gebracht haben und es nun ins Ziel bringen wollen.

Noch am 21.Oktober 1988, vier Monate vor dem endgültigen Abzug der Roten Armee, berichtete ein aufgeregter Botschafter Oakley nach Washington: „Die Mudschaheddin sind auf dem Vormarsch. Es geht schneller als erwartet.“ Seither ist die Zahl der afghanischen Flüchtlinge in Pakistan dramatisch angestiegen. Tatsächlich aber haben die Mudschaheddin seit dieser Zeit nur geringfügige Gewinne verbucht, wie man bei genauerem Hinsehen leicht hätte feststellen können. Im November vorigen Jahres sprach ein britischer Diplomat in Afghanistan bereits vom „amerikanischen Wunschdenken“: „50 Prozent des Landes sind unbewohnbar. Wenn also die Revolutionsarmee nur 20 Prozent kontrolliert, kontrollieren die 'Muj‘ eben nur 30. Die Pakis und die USA sollten die 'Muj‘ zur Fortsetzung ihrer 'Hit and Run'-Taktik und zu ökonomischen Blockaden anhalten. An Eroberungsfeldzügen sollten sie sich allerdings nicht versuchen. Und selbst dann könnte der Krieg weitergehen.“

Fehlende Einheit

Die Amerikaner indes, übereifrig und zuversichtlich, glaubten zwei Wochen nach dem Abzug der Roten Armee, die Zeit sei Reif für den Sieg der Aufständischen. Wie geplant hatte die Schaura just eine Übergangsregierung des Widerstands (AIG) gewählt. Das Kalkül des State Department lief nun darauf hinaus, diese Übergangsregierung in dem Moment anzuerkennen, wenn sie sich auf afghanischem Territorium etabliert hatte. So trafen am 5. März Botschafter Oakley und der Chef der CIA-Filiale in Islamabad mit verschiedenen pakistanischen Offiziellen zusammen, um der AIG bei der Realisierung dieses scheinbar simplen Schritts unter die Arme zu greifen. Kein Afghane war an dieser Gruppe, der „afghanischen Zelle“, beteiligt. Die Gruppe entschied, daß die Mudschaheddin zwei Tagen lang die Stadt Dschalalabad angreifen, dort die AIG installieren und darauf warten sollten, daß die angeschlagenen Kabuler Truppen zusammenbrächen.

Wochenlang bombardierten die Mudschaheddin Dschalalabad. Zeitungsberichten zufolge starben dort im zweimonatigen Kreuzfeuer 5.000 Menschen. In Washington machte Richard Haass abwechselnd das Wetter und die falsche Taktik für das Scheitern des Großangriffs verantwortlich. Im Kapitol griffen Senator Humphrey und andere auf ihre übliche Entschuldigung zurück: Den Aufständischen fehle es an den erforderlichen Waffen. Aber Haass, Humphrey und Oakley vernachlässigten die zwei wichtigsten Faktoren: Eine tiefe, historisch verwurzelte Spaltung unter den Afghanen stand einer geeinten Front des Widerstands im Wege. Dazu kam die Angst vor der fundamentalistischen Ideologie, die Regierungssoldaten entmutigte, zu den Aufständischen überzulaufen. Das nahm den Mudschaheddin den notwendigen Rückhalt. Kurz vor der Schlacht wurden die fundamentalistischen Mudschaheddin von arabischen Wahabiten unterstützt. Sie okkupierten eine Stadt bei Dschalalabad, vergewaltigten und verkauften die Frauen und dokumentierten auf Video, wie sie gefangenen Regierungssoldaten die Gurgel aufschlitzten. Zweifellos ist dies den Regierungstruppen in Dschalalabad und andernorts zu Ohren gekommen, die bis zum erbitterten Ende gegen die von Fundamentalisten dominierte Opposition kämpften, um das einzulösen, was Oakley als leichtes Ziel bezeichnet hatte.

Noch eine Chance

für die Mudschaheddin

Noch mit dem Staub von Dschalalabad an den Füßen berichtete der Afghanistan-Experte der US-Botschaft in Islamabad dem Botschafter, was dieser gerade nicht hören wollte. Edmund Mcwilliams war monatelang durch Flüchtlingslager und die Parteizentralen der Mudschaheddin gezogen und inzwischen zu dem Schluß gekommen, daß ein militärischer Sieg nicht wahrscheinlich sei. Er glaubte aber an einen Konsensus unter den verschiedenen afghanischen Flügeln, der unter Umständen zum Vorteil der Mudschaheddin ausfallen könnte, allerdings nicht die Übergangsregierung einschließen würde. Obwohl Macwilliams Expertise unübertroffen genau war, ließ ihn Oakley versetzen.

Im Spätsommer 1989 machten frustrierte Kongreßmitglieder eine neue Quelle für das Scheitern der Mudschaheddin aus: die CIA. Am 3. August trafen sich Konservative Kongreßabgeordnete und Senatoren, allen voran Humphrey und McCollum, ganz privat, mit Direktor Webster und beschwerten sich, daß die CIA nicht die entscheidenden Waffen geliefert hätte. Zudem verlasse sich die Organisation zu sehr auf die pakistanischen Kanäle der Waffenverteilung. Wenig später zog Webster seinen Experten der Afghan Task Force zurück und versprach, die Operation werde in Zukunft glatter laufen. Das Weiße Haus und der Kongreß waren sich einig: Der Widerstand sollte noch eine Chance bekommen.

Nach drei weiteren Kriegsmonaten tendierten die USA auf dem Gipfel in Malta allmählich zu einer Position, die es Nadschibullah erlauben sollte, eher nach als vor der Übergangsphase zurückzutreten. Wenn die Mudschaheddin erst einmal in Verhandlungen mit der Kabuler Regierung getreten sein sollten, würden die USA die wechselseitige Einstellung der Waffenlieferung erwägen - ein Konzept, das als „Negative Symmetrie“ bekannt wurde.

Dennoch fragen sich nicht wenige, warum Nadschibullah und seine Männer ausgerechnet von einer stärkeren Position denn je abdanken sollten. US-Delegationen, die sich in den letzten Wochen vor Ort informiert haben, sollen Botschafter Oakley und die pakistanische Seite mitgeteilt haben, daß den Mudschaheddin noch eine Kampfsaison eingeräumt werden sollte. Einige Botschafts- und pakistanische Beamte glauben sogar noch immer an einen Sieg der Mudschaheddin, wenn sie nur ihre Belagerungsstrategie verbessern würden. Andere, die davon ausgingen, daß nun der Zeitpunkt für Verhandlungen gekommen sei, sagten, daß fortgesetzte Kampfhandlungen immerhin für eine bessere Ausgangsposition sorgen würden, falls diese Gespräche jemals stattfinden sollten.

Eqbal Ahmad/Steven Galster