Namibia gibt sich einstimmig eine Verfassung

Parlamentarisches Mehrparteiensystem nach westlichem Muster, umfassende Menschenrechtsgarantien und keine Verstaatlichungen / Weiße Minderheit wird auch in Zukunft die Wirtschaft und Landwirtschaft dominieren / Südafrika wird Walfischbucht zugesprochen  ■  Aus Johannesburg Hans Brandt

Namibias verfassunggebende Versammlung hat gestern einstimmig die neue Verfassung für das Land verabschiedet. Damit steht der Unabhängigkeit der letzten Kolonie Afrikas am 21. März nichts mehr im Wege. Die Verfassung sieht eine parlamentarische Mehrparteiendemokratie nach westlichem Muster vor. Sie enthält auch umfassende Menschenrechtsgarantien.

Die gestrige Abstimmung fand nicht, wie vorgesehen, geheim statt. Statt dessen wurde lediglich gefragt, ob es Gegenstimmen gebe. Kein Abgeordneter meldete sich zu Wort, so daß die Verfassung de facto einstimmig angenommen wurde. Die größte Oppositionspartei, die gemäßigte „Demokratische Turnhallen-Allianz“ (DTA) hatte schon im voraus ihre Unterstüztung für die Verfassung bestätigt. Überraschend war jedoch, daß die von Weißen kontrollierte „Aktion Christlich -National“ (ACN) sich nicht ausdrücklich wie angekündigt der Stimme enthielt.

Die verfassunggebende Versammlung wird sich nun als erstes Parlament Namibias konstituieren. Erster Staats- und Regierungschef des Landes wird der Präsident der „Südwestafrikanischen Volksorganisation“ (Swapo), Sam Nujoma werden. Er wird am 21. März, dem 30. Jahrestag des „Massakers von Sharpeville“, das Amt übernehmen. An diesem Tag, dem internationalen Anti-Apartheid-Tag, erschossen südafrikanische Polizisten 1960 bei einem Protest gegen die Apartheid in Sharpeville südlich von Johannesburg 69 DemonstrantInnen.

Das Mandat der Untag, die den Unabhängigkeitsprozeß seit dem 1.April letzten Jahres überwacht, läuft am 31. März ab. Namibia wird also planmäßig unabhängig werden. Doch auch das unabhängige Namibia wird wirtschaftlich nach wie vor stark vom jahrzehntelangen Ausbeuter Südafrika abhängig sein, denn die Wirtschaft wird größtenteils von Weißen kontrolliert. Besonders in der Landwirtschaft sind konservative weiße Farmer stark vertreten. Die ehemalige Befreiungsbewegung Swapo hat sich andererseits bemüht, in Gesprächen mit den großen Bergbaukonzernen, die vor allem Uran und Diamanten fördern, eine Basis für zukünftige Zusammenarbeit aufzubauen. Eine Verstaatlichung von Großkonzernen soll nicht stattfinden.

Ein Entwurf der Verfassung wurde seit Einberufung der Versammlung Mitte November von einem Komitee erarbeitet, in dem alle Parteien vertreten waren. Die Swapo, die die Mehrheit der 72 Mandate in der Versammlung hält, mußte zahlreiche Kompromisse mit anderen Parteien eingehen, um die notwendige Zweidrittelmehrheit zur Verabschiedung der Verfassung zu erreichen.

Der Verfassungsentwurf sieht eine parlamentarische Demokratie nach westlichem Muster vor. Das Parlament besteht aus zwei Kammern. Das untere Haus wird nach dem Verhältniswahlrecht von der erwachsenen Bevölkerung Namibias gewählt. Im oberen Haus, dem sogenannten „Nationalrat“, werden regionale Vertreter alle Gesetze akzeptieren müssen.

Swapo konnte sich mit ihrem Vorschlag, der Präsident solle Regierungschef sein, zwar durchsetzen. Aber er kann nur für zwei Amtszeiten von fünf Jahren von der Bevölkerung direkt gewählt werden. Allerdings sind die Vollmachten des Präsidenten auf entscheidenden Gebieten, beispielsweise bei der Anstellung eines Armeechefs, eingeschränkt worden.

Namibia wird unabhängige Gerichte haben. Das oberste Gericht wird die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen prüfen können. Die Verfassung enthält auch einen umfassenden Katalog der Menschenrechte, darunter Pressefreiheit und das Streikrecht. Die Todesstrafe wird verboten, ebenso Rassendiskriminierung und Apartheid. Kostenlose Schulbildung bis zum 16. Lebensjahr wird zur Pflicht gemacht.

Die Verfassung, die unter Mitarbeit führender Rechtsexperten aus Südafrika erarbeitet wurde, betont ausdrücklich, daß der Hafen Walfischbucht und eine Reihe von Inseln vor der Küste Namibias Teil des Landes sind. Südafrika, das diese Gebiete zur Zeit kontrolliert, hat damit einen Fuß in der Tür.