Gewerkschaften gegen Sozialabbau

■ FDGB will „Solidargemeinschaft“ mit DGB / „Zügige Auflösung“ des alten Apparates / Regierung beschloß auf Intervention des FDGB: Joint-ventures nur mit Zustimmung der Belegschaft

Ost-Berlin (taz) - Auf einer Pressekonferenz berichtete gestern Helga Mausch, die neue Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes FDGB, daß sie sich noch am gleichen Tag mit DGB-Chef Breit treffen wird, um über eine „Solidargemeinschaft“ mit den bundesdeutschen Gewerkschaften zu diskutieren.

Die DDR-Gewerkschaften gehen zwar noch davon aus, daß das „Zusammenwachsen“ der beiden deutschen Staaten „in einen gesamteuropäischen Einigungsprozeß“ eingebunden werden muß. Realpolitisch aber richten sie sich offenbar auf eine schnellere Gangart ein. Auf dem Weg zur Solidargemeinschaft sollen „gemeinsame Arbeitsgruppen, besonders zur Mitbestimmung im Betrieb, zur Wirtschaftsentwicklung, zur Arbeitsbeschaffung und Arbeitslosenversicherung“ gebildet werden.

Ziel, so der FDGB in einem Positionspapier, ist die gemeinsame Arbeit an einem „Runden Tisch DDR-BRD“ und die Bildung eines „gemeinsamen gewerkschaftlichen Rates“. Die Gewerkschaften haben nach ihrem Außerordentlichen Kongreß so der Geschäftsführende Vorstand - wieder Tritt gefaßt. Die Auflösung des FDGB-Apparates schreite zügig voran, und zugleich hätten viele KollegInnen, die vor dem Kongreß an einen Austritt dachten, inzwischen beschlossen, drin zu bleiben. Zahlen wurden nicht genannt.

Der Geschäftsführende Vorstand hatte die Pressekonferenz vor allem deshalb einberufen, um ihre „Prüfsteine“ für die Volkskammerwahlen vorzustellen. Die wichtigsten Kriterien, an denen kandidierende Parteien und Vereinigungen gemessen werden sollen, betreffen: die Verhinderung von Sozialabbau bei der „Angleichung“ von DDR und BRD, Demokratisierung der Wirtschaft, Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Schutz der sozial Schwachen, Ausgleichszahlungen bei Subventionsabbau, „humane und ökologisch orientierte Technologiepolitik“ und „Bildung für alle“.

Zu der Frage, welche der Parteien diesen Forderungen wohl am ehesten genügen würden, mochten sich die jetzt parteiunabhängigen Gewerkschaften aus verständlichen Gründen nicht äußern. Immerhin wurde berichtet - woraus man wohl gewisse Sympathien ablesen kann - daß Informationsgespräche über den Gewerkschaftskongreß bisher mit G.Gysi (PDS), I.Böhme (SPD), der Vereinigten Linken und dem Unabhängigen Frauenverband stattgefunden hätten.

Seit dem vergangenen Donnerstag sind die Gewerkschaften mit einem - allerdings nicht stimmberechtigten - Beauftragten in der Regierung vertreten. Siegfried Sahr, der diese Funktion wahrnimmt, konnte einen ersten Erfolg vermelden: Auf seine Initiative hin sei in eine neue Durchführungsbestimmung für die Bildung von Joint-ventures hineingeschrieben worden, daß sie der Zustimmung einer Vollversammlung der Vertrauensleute des betreffenden Betriebes bedürfen.

Walter Süß