Wahlbündnis '90 schon wieder auf der Kippe

Mehrere Bezirksverbände des Neuen Forums tragen den Bündniskompromiß nicht mit / Neues Forum steht vor der Spaltung / Gemeinsame Erklärung von AL und linker DDR-Opposition fordert „Vertrauen in die eigene Kraft“ / Warnung vor schnellem Anschluß an die BRD  ■  Aus Ost-Berlin Mathias Geis

Das Anfang der Woche in Berlin vereinbarte Wahlbündnis zwischen dem Neuen Forum, Demokratie Jetzt und der Initiative Frieden und Menschenrechte wird aller Voraussicht nach am Wochenende schon wieder in die Brüche gehen. Die Bezirksverbände Dresden, Rostock und Frankfurt des Neuen Forums erklärten bereits am Donnerstag, daß sie das als „links“ apostrophierte Bündnis nicht mittragen würden. Hintergrund der Distanzierung ist der schwelende Konflikt zwischen dem Mehrheitsflügel des Neuen Forums und einer linken Fraktion um Reinhard Schult und Ingrid Köppe. Die drei Bezirksverbände, die jetzt gegen das vom Landessprecherrat unterstützte Wahlbündnis auftreten, gehören dem Mehrheitsflügel an, der für eine konsequente Marktwirtschaft sowie die Vereinigung beider Staaten eintritt. Die Tatsache, daß das Bündnis in Berlin - der mittlerweile heftig befehdeten Hochburg des Minderheitenflügels - geschlossen wurde, dürfte bei der Entscheidung der Bezirke eine wesentliche Rolle gespielt haben.

Überraschend kommt das Veto der Bezirke trotzdem. Denn bisher galt vor allem die Vereinigte Linke als nicht konsensfähig. Mittlerweile scheint dieser Bann auch auf die Bürgerbewegungen ausgedehnt zu werden, die dem Forum bislang programmatisch nahestanden und die keine dezidiert linken Positionen vertreten. „Sollen wir denen im Süden eine Bescheinigung vorlegen, daß wir niemals Sozialisten waren“, fragt Wolfgang Templin von der Initiative Frieden und Menschenrechte entnervt. Noch glaubt er, daß sich das Bündnis bis zum Wahltag stabilisieren läßt.

In Dresden gibt es mittlerweile innerhalb des Neuen Forums die Tendenz, ein Wahlbündnis mit der neugegründeten FDP, der LDPD und der Deutschen Forum-Partei einzugehen.

Während im Süden das Neue Forum deutlich auf Einheitskurs fährt, bereitet der Minderheitenflügel in Berlin die Abspaltung vor. Reinhard Schult, der sich auf dem Gründungskongreß noch einmal einbinden ließ, ist nicht mehr bereit, in der Gesamtorganisation mitzuarbeiten. Auf einem landesweiten Treffen der „Linken“ am Wochenende werde sich zeigen, wieviele in einer neuen Organisation mitarbeiten würden. Nach wie vor sind jedoch die Kräfte im Neuen Forum nicht zu unterschätzen, die, etwa mit Bärbel Bohley oder Jens Reich, trotz ihrer Minderheitenpositionen eine Spaltung verhindern wollen.

Als Plattform eines weiteren linken Wahlbündnisses könnte sich unterdessen eine Erklärung entwickeln, die von Teilen des Forums, darunter Schult und Köppe, der Vereinigten Linken, den Nelken, dem Vorstand der AL und Teilen des Bundesvorstandes der Grünen getragen wird.

Unter dem Titel „Vertrauen in die eigene Kraft“ warnen sie vor der „Illusion“ eines schnellen Anschlusses an die Bundesrepublik. Kritisiert wird in der Erklärung die „wirtschaftsstrategisch unverantwortliche Position“ der Regierung Modrow und der Bundesregierung. Die BürgerInnen der DDR würden über die absehbaren, katastrophalen Folgen einer schnellen Einführung der D-Mark hinweggetäuscht. Es sei kein Zufall, daß der wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand auch in der BRD vor dem schnellen Anschluß warne, während die Wahlkämpfer die Einheitseuphorie weiter anheizen würden.