„Der milde Winter liegt im Trend“

Prof. Christian-Dietrich Schönwiese, Metereologe an der Uni Frankfurt, über Klimaveränderungen und Wetterphänomene  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Schönwiese, der dritte Winter ohne Schnee und Eis, dafür gleich mehrere Orkane und ungewöhnlich milde Temperaturen. Viele Zeitgenossen sind mißtrauisch geworden und glauben, daß mit unserem Wetter „etwas nicht stimmt“. Halten Sie dieses Mißtrauen vor dem Hintergrund angekündigter Klima-Veränderungen für berechtigt?

Prof. Schönwiese: Dieses Mißtrauen ist nicht unberechtigt. Der milde Winter liegt im Trend der Klimamodell-Vorhersagen, die von atmosphärischen Veränderungen durch den Menschen ausgehen aufgrund der Anreicherung mit Spurengasen wie Kohlendioxid, Methan usw. Die Klimamodell-Rechnungen sagen Temperaturerhöhungen voraus, und dies ganz besonders für den Winter in den mittleren und höheren Breiten.

Welchen Beobachtungszeitraum wird man denn brauchen, um zuverlässig sagen zu können, daß hier Klimaverschiebungen sichtbar sind?

Das hängt von der natürlichen Schwankungsbreite des Wetters ab. Wenn zum Beispiel die Winter sehr unterschiedlich sind, wird es längere Zeit dauern, bis hier eine Veränderung deutlich erkennbar ist. Aber wir haben in der Bundesrepublik schon seit etwa 200 Jahren Beobachtungsdaten.

Wenn ein kausaler Nachweis zwischen Klimaveränderung und Wetterphänomenen nur schwer zu führen ist, besteht dann nicht die Gefahr, daß alle Wetterextreme mit der Generalausrede auf die natürliche Schwankungsbreite geschoben werden?

Die Gefahr besteht natürlich. Da wir wegen der natürlichen Schwankung die Trends nicht sicher nachweisen und sie auch keinen direkten Ursachen zuordnen können, sind wir auf Wahrscheinlichkeitsrechnungen angewiesen. Es gibt aber Abschätzungen, daß vielleicht schon in 10 oder 20 Jahren die Klimatrends so deutlich und überzeugend sichtbar sind, daß die menschgemachten Klimaveränderungen unbestreitbar werden. Nur: Wenn wir dann erst reagieren, ist es zu spät. Das Klima hinkt nämlich um Jahrzehnte hinter den menschlichen Eingriffen nach. Wir haben jetzt das Klima, das wir sozusagen vor Jahrzehnten angelegt haben. Anders ausgedrückt: Wenn wir heute reagieren und die menschlichen Klimaeingriffe sofort reduzieren, werden sich die Klimatrends dennoch etliche Jahrzehnte ungebrochen fortsetzen.

Es geht bei diesen Klimatrends ja nicht nur um die Erwärmung, sondern es werden auch mehr Orkane und Stürme vorausgesagt.

Das ist sehr kompliziert, und wir müssen hier nach Klimazonen unterscheiden. Für unsere Regionen glauben wir eher an eine Abnahme der Stürme. Denn: In den Tropen erwarten wir geringe Temperaturänderungen, in den Polarregionen sehr hohe. Dadurch nimmt das Temperaturgefälle von den Tropen zum Pol hin ab. Die Temperaturdifferenz in Nord-Süd-Richtung ist aber der Motor für die Bewegungen in der Atmosphäre. Und wenn diese Differenz kleiner wird, werden bei uns eher weniger starke Winde erwartet. Milde Winter jedoch bedeuten immer stärkere Luftbewegungen. Bei einem kalten Winter werden wir dagegen von osteuropäischen oder sibirischen Hochdruckgebieten beeinflußt, und es bleibt windarm. Westliche und südwestliche Strömungen vom Atlantik bringen milde Winter, aber auch automatisch stärkere Winde.

Anders die tropischen Wirbelstürme: Ihre Entstehung hängt stärker von der Wassertemperatur der Ozeane ab. Wenn sie steigt, wie das gegenwärtig der Fall ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung tropischer Wirbelstürme größer.

Gibt es außerhalb unserer Breiten noch andere Wetterphänomene, die Sie mißtrauisch machen?

Das sind vor allem die Niederschlagsänderungen. Sie sind in ihren ökologischen Auswirkungen viel dramatischer als die Temperaturveränderungen. Auf der Nordhalbkugel, von den Tropen bis 50 Grad geographischer Breite, also ungefähr bis Deutschland, haben wir in den letzten Jahrzehnten eine Tendenz zu weniger Niederschlägen. Das ist sehr problematisch und im östlichen Mittelmeerraum bereits stark ausgeprägt. Bei uns soll nach den Klimamodellen die Niederschlagsmenge in etwa gleichbleiben, aber die Niederschlagsstruktur kann sich ändern mit ausgesprochenem Stark-Niederschlag, mit starken Gewittern und Hagel, aber auch mit längeren Trockenperioden.

Wie zuverlässig sind denn diese Klimavorhersagen, und wie viele Unbekannte haben sie?

Die ersten Klimaberechnungen und die ersten Warnungen vor Temperaturerhöhungen hatten wir schon 1896 durch den Schweden Arrhenius. Auch er warnte schon vor menschlichen Eingriffen. Seit den 60er Jahren haben wir eine rasante Entwicklung der Klimamodell-Rechnungen. Aber Klima ist extrem kompliziert. Unsere Berechnungen sind noch immer stark vereinfacht, und wir haben vor allem zwei große Unbekannte: einerseits Wolken und Niederschlag, andererseits den Ozean. Neuere Untersuchungen mit einer verbesserten Ozean-Modellierung kündigen zum Beispiel im Zuge des Treibhauseeffektes für die Südhalbkugel eine leichte Abkühlung an. Das hat niemand erwartet. Dies zeigt aber, wie schwierig es ist, das komplexe System Klima zu verstehen und zu simulieren.

Interview: Manfred Kriener