Irland - die Insel, die kein Klima hat

Irland wird nicht umsonst „die grüne Insel“ genannt. Beim Landeanflug auf den Shannon Airport lassen sich mühelos die vierzig verschiedenen Grüntöne ausmachen, die die Touristikwerbung verspricht. Und wo es viel Grün gibt, ist der Regen nicht weit. „Der Regen ist hier absolut, großartig und erschreckend“, schrieb Heinrich Böll in seinem Irischen Tagebuch. „Man kann diesen Regen schlechtes Wetter nennen, aber er ist es nicht. Er ist einfach Wetter, und Wetter ist Unwetter.“ Bölls Worte wurden in dieser Woche eindrucksvoll unterstrichen: Seit Sonntag herrschen im Süden Irlands Sturm und Dauerregen.

Cathal und Biddy Stevens sitzen in Gummistiefeln in der Küche ihres Reihenhauses in Cork, im gesamten Erdgeschoß steht das Wasser 30 Zentimeter hoch. „Was sollen wir machen“, sagt Biddy. „Es hat keinen Sinn, das Wasser herauszuschöpfen. Draußen steht es ja noch höher.“ Cork, die zweitgrößte Stadt der Republik, ist von dem Sauwetter besonders arg heimgesucht worden. Viele Straßen sind nur noch mit Booten befahrbar.

Der Elektrizitätsgesellschaft ESB war die Venedig -Atmosphäre offenbar zu wenig. Weil der Pegelstand im Inniscarra-Staudamm über der Stadt stark gestiegen war, öffnete die ESB kurzerhand die Fluttore und schickte drei Tage lang 160 Tonnen Wasser pro Sekunde ins Tal. Böll behauptet zwar, daß laut Bibel keine Sintflut mehr kommen soll, aber damals wußte man ja noch nichts von Elektrizitätsgesellschaften.

In den ländlichen Regionen Südirlands mußten zahlreiche Menschen evakuiert werden. Viele Dörfer in der Grafschaft Laois sind von der Umwelt abgeschnitten. Das Wasser steht über einen Meter hoch in den Straßen und spült ganze Wohnungseinrichtungen gen Meer. Hunderte Rinder und Schafe sind in den Fluten ertrunken.

In Südengland und Wales ist das Bild nicht anders. Die Aufräumarbeiten nach dem letzten Sturm vom 25.Januar, bei dem 47 Menschen starben, waren kaum beendet, als das Wetter erneut zuschlug. Entwurzelte Bäume und über die Ufer getretene Flüsse legten den Straßen- und Eisenbahnverkehr in weiten Landesteilen lahm. Zwei Menschen kamen am Mittwoch im Sturm ums Leben. Die Armee wurde in Alarmbereitschaft versetzt und kam in Salisbury sogleich zum Einsatz: Als Bischof John Baker 18 Schafe an seiner Kathedrale vorbeischwimmen sah, rief er Generalleutnant David Ramsbotham um Hilfe. Der entsandte sogleich eine Handvoll Soldaten in kleinen Dingis. Die Schafe konnten gerettet werden.

Die Unwetterkatastrophen der letzten Wochen haben auch hier die Diskussion um Klimaveränderungen angeheizt, aber die Wissenschaftler sind sich durchaus nicht einig. Der Meteorologe Jim Hourihan vom Dubliner St.-Patrick's-College bestreitet gar, daß Irland überhaupt ein Klima habe: In Irland lasse sich über die vergangenen 30 Jahre kein bestimmtes Schema statistisch nachweisen, jedes Jahr werde irgendein Wetterrekord gebrochen. Dieser Winter werde eben als feuchtester in die Geschichte eingehen.

Ein schwacher Trost für die geplagte Bevölkerung. Für das Wochenende sind weitere Stürme mit heftigen Regen- und Schneeschauern angekündigt.

Ralf Sotscheck, Dublin