Gott weiß, was göttlich ist

■ Schlange und Weib auch, nur den cand. theol. kümmert's nicht

Es hat so leidenschaftlich geläutet vom weißmodernen Turm der Domkapelle hinterm Deich gegenüber vom Ambiente, wo ich im Unterschied zu diesem noch nie war, da bin ich einfach hinein. Und war auch schön, die Orgel präludierte wie Spinett in Frears „Gefährlichen Liebschaften“, wir zwölf InsassInnen singen Ein feste Burg und gegen eine Welt voll Teufel an, d.h. es singt natürlich wieder kein Schwein, auch cand. theol. Behrmann nicht. Der las jetzt unter dem gekreuzigten Jesus, den der Künstler aus Modernitätsgründen auch noch an den Knien amputiert hat (als ob's nicht alles so schon weh genug getan hätte), die Geschichte von dem Menschen vor, den sein Weib verführte, das die Schlange verführte, vom Baum des Lebens zu essen. Von dessen Früchten, sobald ihr davon esset, euch die Augen aufgehen werden und ihr wie Gott sein und wissen werdet, was gut und böse ist. Sagt die Schlange. Und das Weib sah, daß von dem Baume gut zu essen wäre und daß er lieblich anzusehen ist, immer der Baum, Verschiebung hat das Freud genannt, und begehrenswert, weil er klug machte, und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab auch ihrem Manne neben ihr, und er aß. Da gingen den beiden die Augen auf, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren;

Cand. theol. Behrmann läßt das alles unterm armen Christus stehen und liegen und predigt lieber darüber, wie der Teufel Jesus in der Wüste, als der am Fasten war und das Licht so flimmerte, versucht hat, 1. als Person, 2. in seiner Aufgabe. Und es ging immer um den Gehorsam gegen Gott, und Brot und Wort und daß Brot ohne Wort bloß materiell und nicht ausreichend ist, und es ist eine lange, kreuzbrave Predigt, die legt aus und ein und streut einen kleinen Bezug zum Alltag ein, der nie falsch sein kann und ist Teil des Examens von cand. theol. Beermann und wird schon von andern Leuten zensiert und gewißlich nicht von mir hier.

Die Sonne zieht sich hinter die Splitterglasscheiben zurück, die sie noch grad in wirbelnd Rot und Weiß aufkreischen lassen hat, hinter den Sonntagsverkehr, den man leise von draußen rollen hört, an den Deich. Und ich ziehe mich wieder zum begehrenswerten Baum von 1. Mose 3 zurück, die Geschichte, die irgendjemand „den Sündenfall“ genannt hat. Immerhin einer, nach dem Gott feststellen muß, siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner, daß er weiß, was gut und böse ist. Und daß der Mensch geworden ist wie unsereiner, das haben alles das Weib, die nachgeordnete Rippe, und die Schlange erfunden. Und aus purer Rach- und Eifersucht hat Gott dann gleich die ganze erdenschwere Familienökonomie drangehängt, dem Weib den Geliebten zum Vorgesetzten gemacht (nach deinem Manne wirst du verlangen; er aber soll dein Herr sein) und den Mann zum schwitzenden Ernährer.

Man kann doch wirklich nicht sagen, daß dieser Gott des 1. Moses 3 nicht gewußt hätte, was göttlich ist, nämlich die Schönheit, das Begehren, die Klugheit, die Scham, das Essen und die Bäume und was irdisch ist, nämlich die Familie, die Feindschaft des Weibes zur Schlange der Verführung und die Plackerei des Mannes beim Brotranschaffen.

Uta Stolle