Vorname Ulrike

■ Premiere von Kresniks Tanztheater „Ulrike Meinhof“ in Bremen / Schwarzrotgold-Revue und grandios starkes Stück über eine Menschwerdung

Das geht: daß Ulrike Meinhof ihren Körper zurückbekommen hat, ein Zaudern und sogar ihre Geige. Ulrike Meinhof, die Frau mit dem Kopf - ohne Wörter? Hans Kresnik, der bilderrasende Tanztheater-Maniac, hat Ulrike Meinhof mit beinah zärtlicher Gewalt vom Schlagwort befreit. Erst dahinter kommt eine Frau zum Vorschein mit Vornamen. Er stopft ihr Papier in den Mund, als wäre sie auch daran erstickt. Er zeigt: ein deutsches Schicksal, eine, die an ihrer Vision von Deutschlandeinigvaterland zu

grunde gegangen ist. Und während am Premierenabend Kohl und Gorbatschow in Moskau die Wiedervereinigung verabreden, kommt Ulrike Meinhof zurück.

Da steht sie tatsächlich auf der Bühne, klein und müde und aus keinem guten Schlaf erwacht, (Margaret Huggenberger) 58 wäre sie heute, eine schmerzvoll erloschene Figur, keine verklärte Märtyrerin, und still setzt sie sich vor die kleine Mauer in den Hintergrund einer hämbörgerübersäten Bühne (Penelope Wehrli) und was sie sieht, kann nicht unser

Ernst sein: eine am Boden liegende MacDonalds-Gesellschaft, DamenundHerren: Hereingerollt! Hereingerollt! Fressen Sie, fressen Sie, winden Sie sich durch unsere Niemandslandschaft und kotzen Sie, kotzen Sie im Stehen! Horde - hüpf! Die Frau hinten an der Mauer will das nicht sehen. War sie so umsonst?

Aber losloslos, wer wird denn da den Mantel über den Kopf ziehen, jetzt kommt Gottlieb Wendehals, wir feiern Wiedervereinigung, unsere Polonaise wird doch nicht nur von Kamen nach Wuppertal, sondern demnächst in den Osten ziehen: heiladio, da kommen ja auch schon Heinoroy blackkatjaebstein, Humtahumta-Rhythmus, bei dem man mitmuß, die Gesellschaft ententanzt. Und vorne an der Rampe steht ein junges Mädchen mit einer Geige und Humtahumta geht ihr kleines Klage-Lied unter, das ist Ulrike Meinhof als das „typisch evangelische Blockflötenmädchen“, wie sie von Studienkollegen genannt wurde, als sie schon auffiel wegen dieser ernsthaften Gläubigkeit an einen erfolgreichen Widerstand im Nachkriegs-Deutschland. Das Schlagerpotpourri löst die fizzelnden Pizzicato-Geigen und einstürzenden Turmbauten-Klänge ab (Musik: Serge Weber).

Der zweite Teil beginnt schon im Hochsicherheitstrakt mit einer zweiten Ulrike Meinhof (Amy

Coleman): sie liegt in der Zelle und erlebt ihre Vergangenheit als Revue. Die Musik treibt unerbittlich an mit trockenen Trommelschlägen und Synthisizerwaschbrett, während eine dritte Ulrike Meinhof (Regine Fritschi) oben auf der Galerie ununterbrochen auf ihre Schreibmaschine einhackt. Das Gitterdreieck hoch über der Bühne senkt sich zum ersten Mal. Unten tanzt zusammen ein Paar, ihre Eltern, ein verrenkter Tanz, unfroh kreiselnd, mit stürzenden Purzelbäumen. Begegnung mit „K2R“ Klaus Rainer Röhl, Konkret-Herausgeber und Ehemann, im viel zu lebenszugewandten, himmelblauen Jackett, einer, der macht und will. Hoch

steht sie über ihm auf einem Bürostuhl, aber er zieht sie zu sich herunter und auf dem Boden zertreten sie sich gegenseitig die Körper, ein Ringkampf-Pas-de-Deux auf Leben und Tod. Die Bilder kulminieren, Deix'sche Figuren fettwabbeln auf die Bühne, grabbeln sich aneinander ab und quetschen Ulrike zwischen ihre Geschlechtsteile - „deutsche Heimat“! Auftritt beste Gesellschaft mit dreifach übereinander getragenen Pelzen im Wiege-Gleichschritt, Gruppenballett auf Stühlen sitzend, immer im Kreis herum, Rumba-Chachacha, Kehrtschwenk, rührt euch, Ulrike zu ihrer Zeit als Miß Gesellschaftsspielverderberin der Sylter Schickeria tanzt im rosa Tüll mit.

Aber schon wird es ihr zuwider, und das Gitter senkt sich weiter nach unten. Ein Mann rast auf sie zu, Andreas Baader, ein Figurenwerfer, Arme und Beine fliegen wie weggeworfen. Noch einmal beste Gesellschaft, Opernball '69, Geigen zirpen dissonant und wienerwalzern und lippizzanerwiehern, die Damen und Herren zucken wie in Krämpfen, und endlich senkt sich das Gitter ganz nach unten, die dritte Ulrike löst die zaudernde zweite ab und ist die Täterin, rasend schnell kommt das Ende auf sie zu.

3. Teil: Die Geigen sirenen, aber heulen nicht, Ulrike Mein

hof und die RAF in ihrer letzten Phase im Hochsicherheitstrakt, zwangsernährt, getanzt wird nicht, sie gehen in den Tod, Männer in Gummischürzen warten darauf geduldig, hängen die Körper in Fleischerhaken, Menschenfleisch. Ulrike Meinhof bringt sich bei Kresnik nicht um, sie macht sich stumm, schneidet sich die Zunge ab. Heino singt ihr zum qualvollen Sterben das Deutschlandlied wie Donnerhall „Deutsche Frauen, deutsche Treue“.

Kresniks choreographisches Theater zeigt Zerrbilder, als hätten sie laufen gelernt und gleich tanzen. Keine historisierenden oder rehabilitierenden Kopflasten, sondern wütend hingeschmetterte Bilder - so, als hätten sie in der Geschichte schon lange darauf gewartet, daß sich einer ihrer annähme, um Ulrike Meinhof eine Erinnerung zu verschaffen. Das Publikum sitzt aufrecht erstarrt, als der Vorhang zufällt. Dann fast eine Viertelstunde rasender Applaus im Zugabenrhythmus.

Claudia Kohlhas