DER DURST UND DIE WÜSTE

■ Bilder des australischen Künstlers Jimmy Pike im Haus der Kulturen der Welt

Solange man nichts weiß über Jimmy Pike, hält man ihn für einen der vielen Wanderer durch die eklektizistischen Zeichenlabyrinthe der Kunst der achtziger Jahre. Strichmännchen, Schlangen und Vögel irren durch ein Gewirr von Linien, Kreisen und Punkten. Doch da ist in unserer Vorstellung die Simulation einer rätselhaften Zeichenwelt und magischen Kultur dem Original vorausgeeilt.

Denn anders als in den zusammengeklauten Piktogrammen der sinn- und symbolsüchtigen Maler der europäischen und amerikanischen Kunst lassen sich in Jimmy Pikes Bildern konkrete Geschichten entschlüsseln. Durch die erläuternden Texte verstehen auch wir Nichteingeweihten die Stories. Auf zwei Bildebenen werden die überlieferten Mythen der australischen Ureinwohner erzählt: Der dunkel grundierte Hintergrund gleicht einer Landkarte der Wüste. Aus der Perspektive des fliegenden Vogels markieren Linien den geschwungenen Verlauf der Hügelketten, die Strukturierung des Sandes durch den Wind, die Fährten der Bewohner durch die Wüste. Die Linien führen zu konzentrischen Kreisen, den Wasserlöchern, Ursprung und Mittelpunkt des Wüstenlebens. Zugleich bilden sie den Körper von Schlangen und die Spuren ihres Kriechens nach: In den mythischen Zeiten haben diese den Weg zu den Wasserlöchern gezogen, um sie zu bewachen. Nichts scheint so logisch und eindeutig in der Interpretation, so verblüffend in der Deckung von Erscheinungsform und Bedeutung wie die Herkunft der Linie aus der Spur der Schlange im Sand.

Die Menschen und Tiere sieht Pike frontal oder im Profil in vereinfachenden Konturen. In manchen Bildern tauchen die Helden einer Geschichte mehrmals auf, um den Fortlauf der Handlung zu beschreiben. Von ihren Wanderungen durch die Wüsten, der Suche nach Wasser und von ihren Verwandlungen in Elemente der Landschaft berichten die Ursprungsmythen, denen Pike in seinen Bildern folgt. Die Malerei verweist damit immer auch auf die Entstehung der Formen, begründet die Herkunft der Symbole aus einer dem Leben in der Wüste angepaßten Wahrnehmung.

Two Men sitting at a Waterhole: „Zwei Männer sitzen am Rande eines Wasserlochs. Es heißt Tingki. Die beiden heißen Pittingkaji und Wurta und streiten sich gerade. Sie streiten sich über das Land. Sie stammen aus unterschiedlichen Gegenden und sind sich uneinig über die Geschichten ihres Landes. Sie verwandeln sich in zwei Felsen, die neben dem Wasserloch liegen.“

Die Geburt der Kunst

aus dem Suff

Jimmy Pike begann erst vor zehn Jahren zu malen, in der Folge eines großen Durstes und einer tragischen Geschichte. Geboren und aufgewachsen war er in der Großen Australischen Sandwüste. Seine Verwandten gaben ihr Nomadenleben als Sammler und Jäger auf; nahe der Viehstation Fitzroy Crossing arbeiteten sie als Cowboys. Jimmy Pike wurde Cowboy und Chauffeur. Seit die australischen Ureinwohner durch eine in den dreißiger Jahren begonnene Assimilationspolitik in Missionsstationen und Camps leben, leiden sie unter Depressionen und Alkoholismus. Einmal betrunken erschlug Jimmy Pike im Camp einen alten Mann und wurde zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe verurteilt. Nach Pikes eigener Interpretation der Ereignisse, begründet auf die Religion seines Volkes, war er ohne sein Wissen zum ausführenden Instrument einer Strafe an dem alten Mann geworden, der gegen Tabus verstoßen hatte. Im Gefängnis von Freemantle lernte Pike die beiden weißen Kunsterzieher Stephen Culley und David Wroth kennen; sie bestärkten ihn, in der Tradition seiner Kultur zu malen. Durch diese Beschäftigung erinnerte er sich an seine Kindheit und kehrte in der Imagination in die Landschaft der Wüste zurück. Seinem Volk war nur die rituelle Körperbemalung mit wenigen organischen Farbstoffen und Motiven bekannt. Im Gefängnis, konzentriert auf die von ihm fast schon vergessenen Mythen und die Wahrnehmungsmuster des Lebens in der Wüste, entwickelte er einen eigenen, motivreichen Stil. Als erster seines Volkes malt er mit synthetischen Farben und nutzt deren Spektrum wie einen neu gewonnenen Reichtum aus.

Malen, Jagen, Shopping

Nach fünf Jahren wurde Pike auf Bewährung entlassen und zog zurück an den Rand der Wüste. Culley und Wroth hatten inzwischen mit dem Verkauf seiner Bilder begonnen und die in Australien und Japan erfolgreiche Firma „Desert-Design“ gegründet: Die stilisierten Bilder der heiligen Wasserlöcher bedecken Kleider, Badeanzüge, Plastiktaschen und Regenschirme. Wenn die Vitrine mit „Desert-Design-Produkten“ am Eingang der Ausstellung ansässigen Großeinkäufern in die Augen fällt, ist auch hier bald mit einem Wüstenboom zu rechnen. Dem Maler und seiner englischen Frau ermöglichte der Erfolg auf dem Kunstmarkt ein unabhängiges Leben. Ohne Haus, aber mit Radio, Eisschrank und Landrover kampieren sie nahe eines aufgegebenen Bohrloches der Mining Company in der Wüste.

Ulli Beier, der die Ausstellung im Haus der Kulturen organisiert und den Katalog verfaßt hat, beschreibt darin einen Besuch bei Pike. Malen gehört zu dessen Tagesablauf wie Jagen, Schnitzen von Speer oder Boomerang, mit dem Landrover zum Supermarkt fahren, (denn das Malen kostet zuviel Zeit, um den ganzen Lebensmittelvorrat zu erjagen und zu sammeln), Bilder für Ausstellungen in Sydney, Melbourne, Tokio, Hongkong, Paris, Frankfurt oder Witzenhausen wegbringen, mit seiner Frau an einer Biographie und an einem Wörterbuch arbeiten. Pike hat ein seltenes Gleichgewicht zwischen der Zivilisation und Nomadenkultur gefunden. So nutzt er die Pisten der Mining Company, die auf der Suche nach Bodenschätzen die Ureinwohner aus ihren letzten Zufluchtsorten in der Wüste vertreiben, um besser mit dem Landrover voranzukommen und pumpt Wasser aus den aufgegebenen Bohrlöchern.

Für die australischen Ureinwohner zählt die Malerei nur in ihrer rituellen Funktion - sonst haben Bilder keine Bedeutung. Pike legt sich die Selbstzensur auf, in seinen Bildern keine der Geheimnisse und Tabus ihrer Kultur zu verraten. Nüchtern betrachtet er seine Malerei als die Herstellung einer Ware, die ihm sein Leben ermöglicht. Doch gleichzeitig beharren seine Geschichten auf dem Landrecht seines enteigneten Volkes.

Primitive Kunst: Von

Anfang an Auftragsmalerei

Beier referiert eine kurze Geschichte der „modernen Kunst der Uraustralier“, die die konventionelle Trennung in moderne westliche Kunst und authentische Kultur bedrohter Völker in Frage stellt. Nachdem die Aborigines von ihrem Land verjagt wurden, in ihrem Lebensrhythmus gehindert, nachdem ihre Rituale vom Alltag abgetrennt zu verdorren drohten, entdeckten sie das Interesse der Weißen für den bildnerischen Ausdruck ihrer Kultur. Uraustralier gewannen ein neues Bewußtsein von einer veränderten Bedeutung ihrer Bilder: Das Gedächtnis der Bilder wird um so wichtiger, je mehr der alte Zusammenhang von Leben und Mythos verlorengeht. Gleichzeitig waren die Maler sich mehr als jeder westliche Künstler bewußt, für den Verkauf zu produzieren. Die Käufer waren immer die Weißen, die Fremden, die von der rituellen Bedeutung eh ausgeschlossen waren; die moralischen Konflikte zwischen ideellem Wert und Ware europäischer Künstler kannten die Australier deshalb nicht. Was die europäische Kunst über Jahrhunderte als Trauma erlebte, den Verlust ihrer sakralen Bedeutung und die Umwandlung in eine Ware, erledigten die australischen Ureinwohner mit einem Schlag und der Einsicht in die Notwendigkeit.

Ihre Arbeit als Künstler begann mit Selbstverleugnung, Anpassung und seelischem Desaster: Der erste Uraustralier, der volles Bürgerrecht erhielt, Albert Namatjira, war Künstler geworden. Ihm hatte ein weißer Maler beigebracht, die Landschaft nicht mehr von oben als einen Teppich von Spuren wahrzunehmen, Gegenstände nicht mehr symbolisch, sondern in ihrer „wahren“ Form darzustellen und die heiligen Stätten seines Volkes bewundernswürdig zu aquarellieren. Namatjira wurde als der „primitive Mann, der zivilisierte Bilder malte“ zum Musterbeispiel gelungener Assimilationspolitik. Zu seinen Privilegien gehörte das Recht, Alkohol zu trinken. Doch nach einem Streit unter betrunkenen Ureinwohnern wurde er beschuldigt, Bier an sie verteilt zu haben, und verhaftet. Kurze Zeit nach der Haftentlassung starb er.

Motive für

uneingeweihte Knaben

Die lange nur von Anthropologen geschätzte Kunst von Arnhem -Land entstand in den sechziger und siebziger Jahren in den Missionsstationen: Dort regten die Missionare die ihrer Beschäftigungen beraubten Männer zur Rindenmalerei an, um durch deren Verkauf als ethnographische Kuriositäten in den Städten Geld zu verdienen. Die Missionare zensierten in den Bildern zuerst die Genitalien der Geister, bis ihnen die Kunsthändler sagten, daß sich Bilder mit großen Genitalien besser verkauften. Da die Männer nach Arbeitsstunden bezahlt wurden, entwickelten sie arbeitsaufwendige und kompakte neue Muster. In der Wahl ihrer Motive achteten die Malenden darauf, in den Bildern für die Weißen nur so viel zu erzählen, wie auch uneingeweihte Knaben erfahren durften.

Die Bewohner der Wüsten legten seit Jahrtausenden im gemeinsamen Nachvollzug des Schöpfungsaktes große geheime Sandmosaiken an, mythologische Landkarten. Auf diese Tradition bezogen sich die Mitglieder der Papunya -Künstlerkolonie, die in den siebziger Jahren entstand. Angeregt durch den australischen Lehrer Geoff Bardon, begannen die Männer in einer Wohlfahrtsstation auf Wände und Hartfaserplatten den zur Veröffentlichung bestimmten Teil ihrer Geschichten zu malen. Verwaltung und Sozialarbeiter witterten in dieser offenen Propagierung der Unantastbarkeit der heiligen Stätten der Wüstenbewohner einen Angriff auf ihre Assimilationpolitik und erschwerten Bardon das Leben so sehr, daß er einen Nervenzusammenbruch erlitt. Die Papunya -Malerei, die zum künstlerischen Ausdruck der „landsright„ -Bewegung wurde, aber hatten schon begeisterte Anhänger gefunden. Das Opernhaus in Sydney und das Parlamentsgebäude in Canberra sind heute mit Wandgemälden und Mosaiken, die Papunya-Malern entworfen haben, geschmückt. Die weißen Australier versuchen nun, die Kultur der Ureinwohner als einen Teil der Geschichte Australiens zu vereinnahmen. In der Kunst wird nur zugelassen, was in der Realität zuvor über Jahrhunderte erfolgreich verdrängt wurde.

Es gehört jetzt zum guten Stil in den Geschäftsetagen der Mining Companys, einen Jimmy Pike an der Wand zu haben.

Katrin Bettina Müller

„Jimmy Pike. Bilder aus der Großen Australischen Sandwüste“ im Haus der Kulturen der Welt bis 18.März.