Kohl am Marx-Engels-Forum?

■ AL-Senatorin Schreyer schickt Berlin in den Hauptstadt-Test / „Szenarien“ sollen klären, welche Hauptstadteinrichtungen in Berlin „tragfähig“ wären - und wo

Jetzt kommt Berlin in den Hauptstadt-Test. Weil es auch nach Ansicht von Umweltsenatorin Schreyer „immer wahrscheinlicher“ wird, daß Berlin zur Hauptstadt eines vereinigten Deutschlands gekürt wird, läßt die AL-Senatorin von ihrer Stadtentwicklungsabteilung jetzt „Szenarien“ für eine „Hauptstadt Berlin“ entwickeln. Sie sollen klären, welche Gebäude und Flächen „zur Aufnahme der notwendigen Parlaments- und Regierungsbauten“ und anderer Einrichtungen geeignet wären.

Die geplanten Szenarien sollten klären, was in Berlin überhaupt „tragfähig“ wäre, erläuterte Schreyer in einem Gespräch mit der taz. Könnte daraus auch folgen, daß eine Hauptstadt Berlin nicht tragbar wäre? Diese Frage mochte die Senatorin nicht beantworten, forderte aber eine „Aufteilung“ der Aufgaben auf mehrere Städte. In das Ländersystem der Bundesrepublik und künftig auch der DDR paßt nach ihrer Meinung „keine Hauptstadt, die in zentralistischer Manier alle bedeutenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Funktionen an sich reißt“. Ein Umzug von Regierungseinrichtungen nach Berlin würde „nicht von heute auf morgen“ passieren, beruhigte Schreyer. Sie hält es beispielsweise für möglich, daß die neue deutsche Republik zunächst mit einem „vagabundierenden Parlament“ nach EG -Vorbild leben muß.

Es sei zwar „noch keine ausgemachte Sache“, daß Berlin Regierungssitz werde, schränkte die Senatorin ein; sie verwies aber auf das Interesse der DDR, nicht auch noch die Hauptstadtfunktion Ost-Berlins an Bonn abgeben zu müssen. Für die DDR liege es deshalb „viel klarer auf der Hand“ als für die Bundesrepublik, daß Berlin Regierungssitz werden müsse. Die Hauptstadt-Szenarien sollen nun in „enger Kooperation“ mit der DDR und dem Ostberliner Magistrat erarbeitet werden.

Schreyer kritisierte auch die bisherige Westberliner Diskussion über den Ort eines neuen Regierungsviertels am Spreebogen oder auf dem Tempelhofer Flughafen. Es entstehe der Eindruck, als sollte nicht Gesamt-Berlin, sondern „West -Berlin Hauptstadt werden“. Geht es nach Schreyers Stadtplanern, dann wird Helmut Kohl oder sein gesamtdeutscher Nachfolger eines Tages am Ostberliner Marx -Engels-Forum seine Regierungsgeschäfte betreiben. Regierungseinrichtungen wie ein Bundeskanzleramt könnten sehr gut im Stadtbezirk Mitte eingerichtet werden, meinte Senatsdirigent Karl-Heinz Wuthe, Schreyers Abteilungsleiter für Stadtplanung, auf taz-Anfrage. Hinter dem Palast der Republik oder auf dem riesenhaften Marx-Engels-Forum gebe es freie Flächen. Der Spreebogen nahe dem Reichstag sollte dagegen dem Parlament vorbehalten bleiben.

„Auf gar keinen Fall“ will Stadtplaner Wuthe das Stadtgebiet über seine jetzigen Grenzen vergrößern. Die Hauptstadt-Szenarien müßten deshalb klären, was „innerhalb der Stadtgrenzen“ machbar sei. Bis Ende des Monats, so hofft der Abteilungsleiter, könnte es dann erste „Aussagen“ geben.

hmt