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Fast in die Dessous gegangen

 ■ S T A N D B I L D

(Freitagnacht, N3, 20.00 Uhr) Es war einmal eine Talk -Masterin, die bat „Freitagnacht“ ausschließlich weibliche Gäste von hüben und drüben ins Studio, um mit ihnen die Zukunftsperspektiven der „DDR-Frauen“ zu diskutieren. So weit, so löblich. Leider begann der mit Spannung erwartete Abend zugleich ganz showrig. Mit der doofen blonden Kinderzahnarzthelferin Anja Kossak aus Magdeburg, die unlängst als erstes DDR-Girl nackt mit Spitzen garniert für den 'Playboy‘ posieren durfte (O-Ton: „Ich habe mich wahnsinnig gefreut, daß ich ausgewählt wurde.“) „Neue Sinnlichkeit in der DDR“ gab die Talk-Masterin dann als das Stichwort aus und meinte eigentlich die angebliche Lust der Ostfrauen auf Reizwäsche und Beate Uhse. Selbige war extra aus Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett entliehen worden und durfte kräftig Eigenwerbung für ihre Sexshops machen.

Alice Schwarzers Beißreflex funktionierte prompt. Bedauerte sie zunächst noch süffisant das Abrutschen der ersten Frauentalkshow „in die Dessous“, haute sie sodann der gräßlichen Alten ihr gesamtes Sündenregister um die Ohren. Doch die Monopolfeministin war nicht in Form. Ihr Highlight des Abends: „Ich bin nun mal Frau, da kommt man nicht raus.“

Soweit, so peinlich, wären nicht die Frauen aus der DDR gewesen. Sie jagten den Westtanten ganz schnell den Ball ab. Da beschwerte sich die Ostberliner Soziologin Hildegard Nickel über den Einstieg in den Abend und ärgerte sich darüber, daß die „DDR zur Bananenrepublik in Sachen Sinnlichkeit degradiert“ werde. Verstärkt wurde das Ostteam durch Petra Lux von der Leipziger Fraueninitiative, Tatjana Böhm, derzeit Ministerin des Unabhängigen Frauenverbands, Brigitte Sannemüller vom Neuen Forum Leipzig und Steffi Spira, Altkommunistin. Vom Sex kamen die Frauen auf den Sexismus zu sprechen, auf die zunehmende Gewalt gegen Frauen und Kinder - bisher ein Tabuthema in der DDR, auf Lohndiskriminierung und Doppelbelastung, auf Arbeitslosigkeit und mangelhafte Kinderkrippen, auf die Quotenregelung. Die Sprache klar und mit Witz, die Analysen präzise, das Auftreten selbstbewußt, aber ohne Selbstgefälligkeit. Die brauchten keine frauenpolitische Entwicklungshilfe von ihren großen Westsisters. Denen konnte die Frauenministerin aus Schleswig-Holstein, Gisela Börck, auch kaum „was raten“. Die schmissen den Abend und brachten die Talk-Masterin noch einmal recht in Verlegenheit als sie zum Schluß zu einer Frauendemo am 13.Februar in Ost -Berlin aufriefen.

Ulrike Helwerth

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