Der kleine Prinz

■ Eine Hommage auf Marc Almonds Platte mit Brel-Chansons

Da war dies schönste Discotechnopopstück mit Soft Cell, Tainted Love, das sich im Supremesklassiker Where did our Love go aufhob. Und da war 1982 diese Zeile, mit der eigentlich immer alles anfängt: Looking for Love in a sad song (Torch). Da war Marc Almond schon in seinem Element, und man mußte zittern, daß kein Virus der Schönheit seinem Wunsch ein Ende bereiten mochte. Doch dem konnte er ausweichen, indem er ihn in immer neuen Masken aufleuchten ließ. Bald war er Torero, bacchischer Jünger, bataillescher Adonis, Matrose, Las-Vegas-Star und schließlich Engel.

In diesen Masken war er an den Grenzen der Liebe gewandert, ein dem Abgrund Ergebener. I will never love again singt er am Ende seines Beitrags zum Londoner Bataille Symposium 1984. Er wiederholt es immer wieder, mit Hall, begleitet vom immer gleichen Anfangsakkord aus der Pathetique, ganz nah am Mikrophon. Immer leiser. Dann verschwindet seine Stimme hinter dem lauter werdenden Klavier und macht, als Geste, dem Verschwendungstheoretiker Platz. Das Stück heißt Unborn stillborn (ungeboren totgeboren) und weist auf einen Ort, an dem die Liebe nicht einmal mehr unmöglich ist. Als Liebender singt er den Satz I will never love again die Ehrlichkeit, mit der er ihn singt, macht ihn so pathetisch. Denn wie den alten Mann des Kitschliedes, Gene Pitney, hat Es weiterhin sein Herz ergriffen. Herzensbrüder sind sie geworden und singen immer wieder ihr schönstes Lied: Something's gotten hold on my heart. Den Ignoranten zum Trotz werden sie von Streichern und Trompeten emporgetragen in den Schlagerhimmel von San Remo. Dies ist wirklicher Trost den Einsamen, den Liebessüchtigen; vielleicht weil darin Almonds Untergrund - sexcrime sublime, Einsamsein und Selbstmordsehnsucht - aufgehoben ist, ohne unschädlich gemacht worden zu sein, vielleicht weil Marc Almond über eine Musikalität, über einen derart sicheren Stil verfügt, der es ihm erlaubt, auch an den Grenzen des Kitsches souverän zu bleiben und sicher, weil der 27jährige auf eine zwölfjährige ernsthafte Platten- und Bühnenpräsenz zurückblicken kann.

Während sich EMI die Hände reibt über noch eine Million verkaufter Almonds, belegt er am Rande das große Begehren der kleinen Bühnen. Er singt Chansons; auf einem Independent Label, denn EMI will Hits und wird sie wohl auch im Juni, da ist der nächste EMI-Almond angekündigt, kriegen.

Nur die guten Menschen kennen Lieder; die Becauds, Brels, Piafs dieser Erde, zu deren Leid man sogar und immer schon tanzen konnte, bei denen Obszönes sinnlich wurde, bei denen Herz und Schmerz sich nie reimen, sondern beieinanderliegen. Im Chanson treffen Trivialität, Klischee und große Geste unweigerlich aufeinander, immer gleichzeitig als Stimme und Phänomen. Dies Aufeinandertreffen verdeutlicht Marc Almond seit jeher in seinen Konzerten. Leo Ferre hat er 1986 mit tänzerischer Inbrunst gecovert, und Breltitel wie La mort, Les toros oder Ne me quitte pas singt er zum Teil seit mehr als zehn Jahren. Die Stücke sind mit ihm erwachsen geworden. If you go away („ne me quitte pas“), das zunächst in seiner vermeintlichen Einfachheit zu Tode gecovert fast unbrauchbar erschien, brauchte Jahre, um verstanden zu werden. Wo Brel sein intimes Pathos ganz nah am Mikrophon kontrolliert, hatte Almond, mit den Mambas noch, die ganze unkontrollierte Macht des jugendlich - damals war er 17 - Verlassenen zum Zuge kommen lassen. Und war notwendig gescheitert. Nun singt er es mit größtmöglicher Zurückhaltung; die klarste Stimme weit entfernt vom Mikro zwischen dem an- und abschwellenden Marimbaphon, sparsam orchestriert mit der professionellen Unaufdringlichkeit, die man von verschiedenen Hausbands der Rundfunkstationen kennt; wie um abwartend den Sinn des Liedes zu finden.

Die Achtung vor dem Original durchzieht die Brelrezeption des kleinen Engländers. Die Chansons würden als Wiederholung, z.B. der Orchestrierung, zerstört. Neu, d.h. lebendig werden sie durch die Stimme des Sängers, die durch Verzicht auf Symphonisierung und technische Gimmicks in Never to be next („au suivant“) den Text hervortreten läßt. In The Lockman („L'ecluxier“) verzichtet Almond auf jede Instrumentalisierung und singt a capella.

Andere Stücke wieder, deren Themen Marc Almond zur zweiten Natur geworden sind, singt er ohne jede Distanz; als hätte Brel für ihn geschrieben und als läge hinter diesen Liedern keine Rezeptionsgeschichte. Einige Wörter von Alone („Seul“) klingen aus seinem Mund, als würden sie eine 80er-Jahre-Geschichte zusammenfassen: We need thrills, we need speed and we stumble and fall und er kann und darf sie singen, als wäre es seine Geschichte: die Geschichte des Schwulen, der immer fortgehen muß, um zu sich zu kommen, dem jedes Zurück, jede Regression zur Mutter um den Preis seiner Identität versperrt ist und der bei aller Affirmation doch stets draußen bleibt, als Verlassener immer mit dem Verlassenen verbunden ist; durch Scham vor dem immer fremd aufregenden Körper des anderen: We made it you & I, we have glory & fame, but we never know why we feel so ashamed and we find, we're alone oder durch den Tod.

I'm coming („j'arrive“), ein Walzer an den Tod, den Brel für Juliette Greco geschrieben und selbst nie gesungen hat, singt Almond als Frage oder Wunsch. In einem herzzerreißend leisen Protest wünscht sich der Sterbende abschiednehmend alles, gerade die Abschiede, noch einmal: to take love like one takes the train to be more alone, to fill a trembling body with stars and fall down dead consumed by passion...

Die Verbindung zwischen Liebe, Verlassen und Tod ist Almonds ureigenstes Thema. Er, der seine von allen zertrampelte Sehnsucht nach Teilnahme im Lied zu stillen versucht, kann Stücke wie I'm coming oder My dead („la mort“) affirmativ singen, ohne dabei peinlich zu wirken. Seine Todessehnsucht ist weit entfernt von der unwahrhaftigen Stilisierung verzweifelter junger Männer, denen die Selbstzerstörung noch zur Pose gerät (Nick Cave). „Der Trick dabei ist, daß man hinterher immer wieder gerne nach Hause geht, um mal richtig auszuschlafen“ (Almond im 'Spex‘ 5, 87). Almonds Todessehnsucht ist offen für das „You“. Das ist zwar unwahr - jeder stirbt für sich allein -, aber unwahr doch eher im Stile eines tröstenden Engels.

Marc Almonds You ist immer mit dem Tod verbunden. Weil es sich der Eigenmächtigkeit des Ichs entzieht, kann es in unmöglicher Schönheit aufscheinen: Als größte Freude, als Sehnsucht - And if you, you, you, you came my way („Something's gotten hold on my heart“).

Ein anderer Popstar, der sich an Brel versuchte, David Bowie, singt My death 1972, als Ornament seines Rock'n Roll Suicide. Den Fans läßt er eine Pause, in die hinein sie das von ihm nicht ausgesprochene „you“ („But whatever lies behind the door/ there is nothing more to do/ Angel or Devil I don't care/ for in front of that door/ there is...“) in ein „me“ verwandeln. - Thank you. Almond singt es, als Schlußstück der LP, zwischen Engelschören und Violinen, und am Ende erwartet ihn wahrscheinlich wirklich jemand.

Detlef Kuhlbrodt/Harald Fricke

Marc Almond, Jacques, Some Bizarre/RTD