Die 12-Stunden-Schicht im Kreißsaal

■ Hebammen fordern bessere Gehälter und Arbeitsbedingungen / In vielen Krankenhäusern herrscht der Notstand / Alternative „ambulante Geburt“

Wenn der Euro-Piepser tönt, geht's los. Dann heißt es, alles stehen und liegen zu lassen und ab ins Krankenhaus. Hebammen, die freiberuflich tätig sind, haben rund um die Uhr Rufbereitschaft. Zehn- bis Zwölf-Stunden-Schichten im Kreißsaal gehören zu ihrem Alltag. Rund die Hälfte der Zeit arbeiten sie nachts, oft auch an Sonn- und Feiertagen. Zuschläge dafür gibt es nicht. Knapp 7.000 Hebammen arbeiten in der Bundesrepublik, zirka 2.500 von ihnen freiberuflich. Ihre Arbeitsbedingungen sind meist miserabel, ihr Gehalt gering.

230 Mark bekommt eine freiberuflich tätige Hebamme für ihre Hilfe bei der Geburt eines Kindes im Krankenhaus. Werden Zwillinge geboren, sind es 40 Mark mehr. Für einen Hausbesuch dürfen 22 Mark abgerechnet werden.

Die festangestellten Kolleginnen stehen sich zwar mit einem durchschnittlichen Bruttogehalt von 2.500 Mark etwas besser, bei den Manteltarifverträgen im Sommer vorigen Jahres aber ließ sich der „Bund Deutscher Hebammen“ (BDH) über den Tisch ziehen. Während Krankenschwestern und -pflegerInnen eine, wenn auch bescheidene, Gehaltserhöhung erstritten, erreichte der BDH, der an die DAG angeschlossen ist und in dem die überwiegende Mehrheit der Hebammen organisiert ist, nichts. Die Hebammen gingen leer aus.

Angelika Josten, eine der zwei Präsidentinnen der Hebammenorganisation, ist sauer: „Für uns ist der Zug in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren abgefahren.“ Solange nämlich dauert es, bis der nächste Manteltarifvertrag ausgehandelt wird. Eine Veränderung der Gehaltsgruppe ist damit in weite Ferne gerückt.

Schon nach wenigen Berufsjahren sind Hebammen ausgepowert und leiden unter dem Dauerstreß auf den chronisch unterbesetzten Stationen. Herrscht Hochbetrieb, muß eine Hebamme oft mehrere Geburten gleichzeitig betreuen und nebenbei noch kleine Putz- und Aufräumarbeiten im OP erledigen.

Als sich die Hebammen in einer Münsteraner Klinik weigerten, weiterhin unter den katastrophalen Bedingungen zu schuften, machte ihnen der Krankenhausdirektor folgenden Vorschlag: Er wollte die Station für einen Monat schließen, bis neue Auszubildende anfangen würden. Die Hebammen sollten solange ihren Urlaub nehmen.

Der Hamburger BDH-Vorstand rief schon im vergangenen Jahr den Notstand aus. In der Frauenklinik Barmbek, eine der größten in Norddeutschland, ist es die Regel, daß für Schwangere während der Geburt nur eine Hebamme zur Stelle ist. Es seien sogar Fälle vorgekommen, berichteten die Hamburgerinnen, daß sich eine Schwester um vier Gebärende auf einmal kümmern mußte.

Der BDH schätzt, daß rund die Hälfte aller Kinder hierzulande in personell unterbesezten Kreißsälen zur Welt kommt. 1.000 neue Stellen seien notwendig, um den Mißstand zu beheben.

Die Wirtschaftlichkeitsprüfer in den Krankenhäusern sehen das allerdings ganz anders. Noch immer kommt es vor, daß sie den Personalbedarf nach einem Runderlaß des Reichsinnenministers von 1942 berechnen. Danach hat eine Hebamme 200 bis 250 Geburten jährlich zu betreuen. Daß sich die Kreißsäle seither zu geburtshilflichen Intensivstationen entwickelt haben, berücksichtigten sie in ihren Statistiken nicht.

Eine der Hauptforderungen des BDH ist daher, den Personalschlüssel zu aktualisieren. Im Juli wird darüber beim Bundesarbeitsminister mit den Krankenkassen und Krankenhausgesellschaften verhandelt. Der BDH will dann die Ergebnisse einer Pilotstudie vorlegen, die zur Zeit in vier großen Krankenhäusern läuft und in der Sollzeiten für Arbeitsgänge neu ermittelt werden.

Für Isolde Brandstädter, Präsidentin des BDH, liegt die Strategie der Politiker und Klinikdirektoren auf der Hand: Die Hebammen sollen aus den Kreißsälen vergrault werden. Deshalb erklärten Ärzte Schwangerschaften mehr und mehr zu einer Krankheit, die nur sie behandeln könnten.

Eine Möglichkeit, ihrer schleichenden Entmachtung zu entgehen, sehen Hebammen in der ambulanten Geburt. Sie betreuen die Schwangeren dann bei Hausbesuchen während und nach der Schwangerschaft und gehen, wenn sich die Frauen nicht gleich für eine Hausgeburt entscheiden, auch mit zur Entbindung ins Krankenhaus. Bisher machen nur wenige werdende Mütter von diesem Angebot Gebrauch, nicht zuletzt deshalb, weil die niedergelassenen Gynäkologen, die eng mit den Krankenhäusern zusammenarbeiten, sie nicht über diese Alternativen informieren.

In dem Maße aber, wie die Macht und das Wissen der selbsternannten „Götter in Weiß“ wächst, schwindet die Anerkennung für die Hebammen. Damit verlieren Frauen bei der Geburtshilfe, bei Schwangerschaftsabbrüchen und der pränatalen Diagnostik weiter an Einfluß. Auf dem Weg ins Zeitalter der Humangenetik bedeutet das einen Verlust mit weitreichenden Folgen.

Ute Bertrand