Die Teilung des Herrn Chefetage

Teilzeitarbeit auf der unteren Ebene geht zu Lasten von Frauen / Teilzeitarbeit in Führungspositionen könnte ein wegweisendes Modell für neue Formen des Arbeitens sein / Noch ist der geteilte Job an der Spitze eine Ausnahmeerscheinung  ■  Von Carola Schewe

„Als Vollzeitkraft hätte ich die Stelle wohl bekommen. Aber das mache ich wegen meines Kindes nicht.“ Eine Kölner Stadtplanerin erzählt von ihren vergeblichen Bemühungen, Abschnittsleiterin in der Stadtverwaltung zu werden halbtags. Eine qualifizierte Mitbewerberin, ebenfalls an Teilzeitbeschäftigung interessiert, gab es auch. Doch die Stadt wollte nicht und verbrämte ihren prinzipiellen Unwillen hinter fadenscheinigen Argumenten: „Die behaupteten, es gäbe viele Besprechungen, an denen wir dann beide teilnehmen müßten; das verdoppele den Aufwand. Wir haben aber nachgewiesen, daß das praktisch nicht zutrifft.“ Dennoch: keine Aufstiegschancen für eine qualifizierte Frau.

Dieses Schicksal teilt sie mit den meisten Teilzeitarbeitenden. Über die Hälfte aller teilzeitbeschäftigten Frauen sieht in ihrem Betrieb keine Chance, beruflich aufzusteigen (siehe nebenstehende Aufstellung).

Es gibt jedoch auch andere Beispiele, vor allem in der mittleren Führungsebene öffentlicher Verwaltungen. Im Dürener Stadtplanungsamt etwa verringerte die stellvertretende Amtsleiterin ihre Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden - in einer gemeinsamen Aktion mit zwei Sachbearbeiterinnen. Die drei setzten ohne größere Probleme durch, daß für die freiwerdenden 30 Stunden eine neue Kraft eingestellt wurde, übrigens ausnahmsweise ein Mann, der so mehr Zeit für seine Tochter hat.

Niemand bestreitet heute, daß Teilzeitarbeit Vorteile auch für die Arbeitgeber bietet:

-Die Firma braucht Ermüdungsphasen ihrer MitarbeiterInnen nicht zu bezahlen. Teilzeitarbeit ist produktiver.

-Teilzeitbeschäftigte fehlen seltener.

-Betriebs- und individuelle Arbeitszeiten können voneinander abgekoppelt werden. Überstunden und Leerlauf werden reduziert.

-In bestimmten Lebensphasen können qualifizierte MitarbeiterInnen ans Unternehmen gebunden werden.

-Teilzeitarbeit bietet hervorragende Möglichkeiten, Nachwuchskräfte einzuarbeiten.

-Bei sechs Wochen Urlaub im Jahr und häufigen Dienstreisen müssen sich auch Führungskräfte in der Firma vertreten lassen. Mit gesplitteten Stellen wären Vertretungen einfacher zu regeln.

Warum werden dann Führungspositionen nicht häufiger geteilt? Gerade in den höheren Gehaltsgruppen müßten die Betreffenden keine Angst vor kleinen Renten haben, wie sie den unteren Angestellten drohen. Während eines Kongresses zur Teilzeitarbeit am letzten Donnerstag, veranstaltet vom nordrhein-westfälischen Arbeitsministerium und der parlamentarischen Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frau und Mann, ging es unter anderem um diese Frage.

Arbeitgebervertreter Dieter Stege behauptete: „Im Bereich der Führungskräfte lassen sich gewisse Verantwortlichkeiten nicht teilen.“ Punktum. Keine Begründung. Die anwesenden Fachfrauen ließen sich so nicht abspeisen. Ninon Colneric, Präsidentin des Landesarbeitsgerichtes Schleswig-Holstein, schilderte ganz praxisnah ihre Tätigkeit: „Alles, was ich tue, wäre teilbar. Ich habe einen Teil richterliche Aufgaben - da würde ich eben nur die Hälfte der Verfahren bekommen. Ich muß Richter beurteilen - das könnte man nach Anfangsbuchstaben der Namen splitten. Ich muß repräsentieren; da würde ich eben nur an geraden Tagen mit den Abgeordneten Grünkohl essen gehen. Verhandlungspositionen, etwa in Personalfragen, müßte ich natürlich mit meiner Kollegin absprechen. Wenn wir menschlich miteinander harmonierten, wäre eine gleichgestellte Gesprächspartnerin gerade in dieser Führungsposition eine große Bereicherung.“ Großer Beifall.

Die männlichen Argumente gegen geteilte Führung schienen zunächst rational und nicht so recht faßbar. SPD-Professor Wolfgang Däubler kam sich komisch vor, als er vor der Grundschule mit lauter Müttern auf sein Kind wartete. Arbeitsminister Heinemann sprach von Konkurrenzängsten der Männer, die erst einmal abgebaut werden müßten. Staatssekretärin Ridder-Melchers hoffte auf „Veränderungen der gesamten Denk- und Verhaltensstrukturen“. Solche Veränderungen müßten ganz schön weit gehen, fand ein Diskussionsteilnehmer und prägte das Bonmot des Tages: „In einem Wolfsrudel ist die Rolle des Teilzeitwolfes nicht vorgesehen.“

Haben wir es also nur mit tiefsitzenden Gefühlen komplizierter Männerseelen zu tun, die mit Streicheleinheiten und Selbsterfahrung durchaus zu beseitigen wären? Nein. Ruth Winkler vom Bielefelder Frauenbüro erkannte, daß es hier um die Macht geht. Und Ingrid Kurz-Scherf vom Deutschen Gewerkschaftsbund präzisierte: „Wir leben in einer Chronokratie. Wer die Zeitaufteilung gesellschaftlicher Arbeit ändern will, ändert Herrschaftsverhältnisse.“ Da küßt der Kapitalismus das Patriarchat: „Der Herr Chefetage ist mit der Dame Teilzeitsekretärin verheiratet, die ihm auch den Haushalt besorgt.“ Er betreut seinen Personalcomputer, sie seine Kinder. Dies ist die moderne Version der Hausfrauenehe.

Teilzeitarbeit in ihrer üblichen unterbezahlten und minderqualifizierten Form ändert nichts daran, daß Haushalt und Kinder Frauensache sind. Teilzeitarbeit auf der Leitungsebene würde jedoch genau daran rütteln. Mann müßte zugeben, daß es ein Leben neben dem Beruf gibt. Die Arbeitgeber müßten ihren Leuten innerliche Unabhängigkeit gönnen. Das japanische Modell eines Lebens für die Firma wiese nicht länger den Weg. Persönlicher Einfluß und Konkurrenzdenken, diese Säulen unserer Gesellschaft, wären weniger wichtig als Sachlichkeit und Teamgeist. Ingrid Kurz -Scherf folgerte: „Der Kampf um Teilzeitarbeit in Führungspositionen ist um Klassen revolutionärer als der Kampf um generelle Arbeitszeitverkürzung.“

Eben darum wird sich an der derzeitigen Situation wohl nicht so bald etwas ändern. Die Mehrheit der KongreßbesucherInnen war sich darüber im klaren, daß die Einführung der 35-Stunden-Woche vorrangiges Ziel bleiben muß. Franziska Wiethold von der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen sagte das so: „Vollzeitarbeit muß, bitte schön, so gestaltet sein, daß man sich auch noch nebenbei eine Familie halten kann.“