Erste Begegnung der unbekannten Art für deutsche Leichtathleten

■ Völlig neues Gefühl für BRD-Sportler: Erstmals hängen sie in Paris ihre DDR-Kollegen ab Bei denen herrscht totale Verunsicherung wg. „Ausdruck der Gesamtheit der Umstände“

Paris (taz/dpa) - Erlebnisse der unbekannten Art hatten die bundesdeutschen Leichtathleten beim Hallen-Sechsländerkampf in Paris: Begegneten sich die deutschen Sportler (Ost und West) ehemals nur mit scheuen Blicken, lassen sie jetzt in einer gemeinsamen Kabine Hemd und Höschen runter und rauf.

Grund für die gesamtdeutsche Garderobe ist eine neue Art von Funktionärswettkampf: Zu gerne würde der Italiener Primo Nebiolo, Präsident der Internationalen Leichtathletik -Vereinigung, dem Spanier Juan Antonio Samaranch vom Internationalen Olympischen Komittee die Schau stehlen und bereits zur WM 1991 in Tokio, also vor Olympia 1992, eine gesamtdeutsche Mannschaft präsentieren.

Doch der deutsch-deutschen Annäherung im persönlichen Bereich folgte die Distanzierung im Wettkampf, und zwar anders als gewohnt: Das Team des Deutschen Leichtathletik -Verbandes (DLV) besiegte überraschend die sonst haushoch überlegene Auswahl der DDR. Bei den Frauen war dieser Vorgang ein absolutes Novum (43:38 Punkte), bei den Männern ein lang ersehnter Wunschtraum (49:37).

Den totalen Einbruch der DDR-Sportler bezeichnete DDR -Verbands-Generalsekretär Dr. Heinz Kadow, als „Ausdruck der Gesamtheit der Umstände“. Gemeint ist aller Wahrscheinlichkeit nach die völlige Verunsicherung der Sportler, die sich berechtigte Zukunftssorgen machen müssen.

So hat sich seine erfolgsverwöhnte Mannschaft ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als sie erstmals mit Trikotwerbung die Verbandskasse aufbessern konnte, in völlig desolatem Zustand präsentiert. Noch nie zuvor wurden die Männer in einem ähnlichen Vergleichskampf Letzter. Die Frauen schafften noch den dritten Platz in der Gesamtwertung und ergatterten damit 20.000 Franc aus dem 270.000 Franc-Prämientopf.

Daß die überlegenen Sowjetteams in Europa ein Abonnement auf Gesamtsiege haben, war auch diesmal keine Überraschung: die Männer erbeuteten 54 Punkte, die Frauen 49 und der Verband 120.000 Franc. Aber der Sieg der Akteure des DLV über die DDR-Spitzen ist gewöhnungsbedürftig.

Schneller laufen, höher Springen und weiter stoßen als die Konkurrenz aus der DDR konnten besonders die bundesdeutschen Frauen. Die Doppelweltmeisterin von Rom, Silke Möller aus Rostock, durfte diesmal die Hacken von Ulrike Sarvari aus Sindelfingen bewundern. In 7,16 Sekunden raste die deutschen Sprint-Meisterin (100 und 200 Meter) 60 Meter weit und verfehlte ihren DLV-Rekord nur um drei Hundertstel Sekunden.

Höher als alle anderen Frauen, nämlich 1,95 Meter, sprang Heike Henkel aus Leverkusen - locker und im ersten Versuch. Auf Anfrage eines 'dpa'-Reporters antwortete sie überraschenderweise, sie beabsichtige, demnächst noch höher zu springen. Beim Kugelstoßen demütigte Stephanie Storp aus Wolfsburg mit 19,44 Metern ihre Kolleginnen. Nächstbeste war die Sowjetrussin Ludmilla Peleschenko mit 18,73 Metern. Der durch die Disqualifikation der Sowjetstaffel eingeheimste erste Platz über 4 x 200 Meter setzte zu guter Letzt noch einen drauf.

Die DLV-Männer waren zwar nicht ganz so erfolgreich, holten sich aber dennoch zwei Siege. Christian Thomas aus Heppenheim riß sich beim letzten Weitsprung-Versuch noch einmal mächtig zusammen und sprang mit einem 7,87 Meter-Satz von Platz fünf direkt aufs Siegertreppchen. Der bis dahin führenden Italiener Guiseppe Bertozzi wurde mit 7,79 Metern nur noch Zweiter.

Die Hochsprungkonkurrenz gewann Ralf Sonn aus Weinheim mit 2,29 Metern. Genugtuung auch für den Leverkusener Wolfgang Haupt. Mit 21,14 Sekunden über 200 Meter ließ er sowohl den Europameister Wladimir Krylow (UdSSR/21,21) als auch den französischen Hallen-Weltrekordler Bruno Marie-Rose (21,43) hinter sich. Übersehen hatte er nur den Italiener Stefano Tilli, der in 20,66 Sekunden an ihm vorbeizog.

Insgesamt blieben die DLVler nur einen Sieg unter der Erfolgsbilanz der Sowjetathleten, was DLV-Präsident Helmut Meyer als ein „wunderbares Ergebnis“ wertete.

MS

Endstand Männer: 1. UdSSR 54 Punkte, 2. Frankreich 50, 3. BRD 49, 4. Spanien 40, 5. Italien 40., 6. DDR 37.

Frauen: 1. UdSSR 49, 2. BRD 43, 3. DDR 38, 4. Frankreich 34, 5. Spanien 26, 6. Italien 17.