„Schlußstrich-Amnestie“

■ Saarlands Justizminister will Amnestie für Rüstungsgegner

Mainz/Saarbrücken (taz) - Die Bundesrepublik Anno 1986/87: Hunderte von Friedensbewegten blockieren gewaltlos die Zugänge zu den US-Raketenbasen in Hasselbach und Mutlangen oder zum mutmaßlichen US-Giftgasdepot im pfälzischen Fischbach. Ziviler Ungehorsam, wie er friedlicher nicht geht. Anno 1990 sitzen dieselben BlockiererInnen auf der Anklagebank. Staatsanwälte werfen ihnen Nötigung vor, verwerfliche Gewaltanwendung. Einige Richter sprechen schuldig, andere sprechen frei, dritte kassieren das Urteil, verweisen zurück. Der Streit um Straffreiheit für Sitzblockierer ist eingeschlafen, nur das Saarland strebt eine Amnestieregelung an.

„Die Blockadeprozesse sind ein Anachronismus sondergleichen“, klagt der saarländische Justizminister Arno Walter (SPD). Walter versuchte schon 1988 einen Vorstoß: Amnestie für alle gewaltlosen Sitzblockierer vor Militäranlagen - und per Gesetzesänderung eine genaue Bestimmung des verwaschenen Gewaltbegriffs im Nötigungsparagraphen 240 des Strafgesetzbuchs (StGB).

Der Saar-Minister bleibt auch heute noch dabei: Die Amnestie sei nötig - und machbar. Etwa als „Befriedungs oder Schlußstrichamnestie“, wie er meint: „Ganz so, wie es 1970 nach den Studentenrevolten gehandhabt wurde.“ Die Raketen seien weg, das Giftgas soll ebenfalls verschwinden, also lasse sich auch rechtspolitisch unter die Blockadeverfahren ein Schlußstrich ziehen.

Es sei höchste Zeit, so Walter weiter, der Republik wieder zu „innerem Frieden“ und „Rechtssicherheit“ zu verhelfen. Arno Walter will keine Pauschalamnestie für alle Zukunft, sondern nur eine rückwirkende - „für alle stummen Verkehrsblockierer“ vor Militärbasen. „Etwaigen Widerstand gegen die Staatsgewalt würde ich dabei allerdings nicht amnestieren.“

Der Minister rügt die Ungleichbehandlung von Blockaden in der Bundesrepublik: „Es ist unerträglich: Die Verkehrsblockaden in Rheinhausen, in Lindau oder am Brenner werden mit aller Nachsicht verfolgt und sogar von Bonner Politkern begrüßt. Es gibt höchstens ein paar Strafbefehle, wenn überhaupt. Oder die Verfahren werden wegen Geringfügigkeit eingestellt. Nur bei Sitzblockieren vor Militäranlagen - da schlägt der Staat in voller Härte zu.“

Walter wundert es, wie schwer sich Bonn mit der Amnestie tut. In vorangegangenen Fällen hätten es die Regierenden eiliger gehabt: etwa bei der „Steueramnestie für Kapitalerträge“ oder bei der gescheiterten „Geschenkamnestie“ für Parteispender. Das Saarland strebt nicht nur die rückwirkende Strafbefreiung an. Es will vielmehr den Paragraphen 240 StGB ändern. Der Gewaltbegriff sei zu weit gefaßt und zu sehr „vergeistigt“. Die frühere Trennung zwischen „körperlicher Gewalt“ und „psychischem Zwang“ sei zerflossen. Daher schlägt das Saarland vor, den Begriff Gewalt im Paragraphen 240 künftig durch „Gewalttätigkeit“ zu ersetzen: „Wer andere durch Gewalttätigkeit, durch Bedrohung mit Gewalttätigkeit...nötigt...“ Der Vorschlag findet in der SPD Anklang. Doch fraglich scheint, ob die Sozialdemokraten das Thema Sitzblockaden noch vor der Bundestagswahl aufgreifen werden. Arno Walter: „Um da was zu ändern, bräuchte man sowieso eine Mehrheit im Bundestag.“

Joachim Weidemann