: Endlosschleifen vor bayerischen Gerichten
Ein Münchner Mitglied der Friedensbewegung bewegt sich wegen Aufrufs zur Sitzblockade nun seit drei Jahren vor den Gerichten des Freistaats ■ Aus München Luitgard Koch
„Es ist so schwer, wenn man merkt, man spricht gegen Mauern“, zuckt der 40jährige Karl Wenning mit den Schultern. Trotzdem, auch an diesem grauen Morgen Ende Januar stellt sich der ehemalige Sozialpädagoge wieder in den ebenso betongrauen Gerichtssaal des Landgericht München. Allein, ohne Verteidiger, führt er seine Verhandlung. Während die Brüder und Schwestern „drüben“ für ihre friedliche Revolution von den hiesigen Politikern nicht genug gelobt werden können, werden hier friedliche Rüstungsblockierer nach wie vor zu Kriminellen gestempelt.
Inzwischen hat das Mitglied der Münchner Friedensbewegung eine gewisse Routine im Umgang mit den Mühlen der bayerischen Justiz entwickelt. Schon über drei Jahre kämpft der Friedensbewegte vor den Schranken des Gerichts. Seine Straftat: Im März 1987 verteilte der Münchner Flugblätter mit dem Aufruf zu gewaltfreien Blockaden vor ABC -Waffenlagern. Dreimal wird er deshalb freigesprochen. Mit den Freisprüchen hat es freilich eine besondere Bewandtnis. Mehrere Male setzt sich nämlich dabei in der Tat die Stimme des Volkes durch: Die Schöffen überstimmen den bei der Münchner Friedensbewegung sattsam bekannten Atombefürworter, den Richter Bernd Bremer. Diese Niederlage will der 50jährige Hardliner jedoch nicht hinnehmen. Deshalb bastelt er Urteilsbegründungen, die es der Staatsanwaltschaft leicht machen, in Revision zu gehen.
Der seit 19 Jahren tätige Richter sparte nämlich in seiner schriftlichen Begründung ganz bewußt die Ausführungen dazu aus, warum die Tat nicht verwerflich sei. Der „Bumerang“ war somit eingebaut. Die Initiative bayerischer Strafverteidiger zeigte ihn daraufhin wegen Rechtsbeugung an.
Diesmal jedoch steht Karl W. vor dem jungen, sichtlich nervösen Richter Horst Weidenkaff. Auf seinen Schultern lastet nun der Druck des Bayerischen Obersten Landesgerichts. Denn die Richter dort sehen in Sitzdemonstrationen, ganz im Sinne der bayerischen Staatsräson, verwerfliche Gewalt. „Ich meine, daß sehr viele Leute es als Gewalt ansehen, wenn ein Mensch aus einer Menschenkette sich ihnen plötzlich in den Weg stellt“, argumentiert dann auch der untersetzte Staatsanwalt Alfred Mützel und reibt sich dabei die Hände. „Hier wird mit dem Einsatz des Körpers auf jemanden eingewirkt“, weiß Mützel. Und um schließlich die verwerfliche Gewaltanwendung ein für allemal und ganz klar zu definieren, stellt er ernsthaft fest: „Es genügt, wenn sich die Körper nicht berühren.“
Die psychischen Zwänge seien hier genauso stark wie die körperlichen, wird der Staatsdiener ganz feinfühlig. Am Ende seines Plädoyers kommt Mützel dann auch auf seine Auftraggeber zu sprechen: Das Bayerische „Oberste“. Ihm fühlt er sich verpflichtet. „Das Bayerische Oberste verfolgt die Leitlinie des BGH“, verteidigt der Staatsanwalt die sturen Richter des Freistaats.
Diese „Leitlinie“, wonach die „billigenswerten Ziele“ der Blockierer nicht berücksichtigt werden müssen, stammt tatsächlich aus einem umstrittenen Beschluß des 1.Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Mai 1988. Kein Amtsgericht oder Landgericht ist jedoch an diese Entscheidung gebunden.
Der Münchner Rechtsanwalt Frank Niepel wertete diesen BGH -Beschluß bereits damals als „Verfassungsbruch“ und „politische Strafjustiz“. Nur noch bei der Strafhöhe sollten die Fernziele der Blockierer, also die Beseitigung der stationierten Raketen, berücksichtigt werden, entschied der BGH. Wird das Fernziel nämlich nur geprüft, um die Höhe der Strafe festzusetzen, kann es höchstens noch strafmildernd wirken. Ein Freispruch ist somit kaum mehr möglich.
Mit diesem BGH-Beschluß glaubte auch die Bundesregierung, die Rechtssprechung wieder fest an der Kandare zu haben. Denn davor war durch die Pattentscheidung der vier „Minus„ und vier „Plus„- Richter beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im November 1986 ein ziemlicher „Rechtswirrwarr“ entstanden. In der Frage, ob gewaltfreie Sitzdemonstrationen als verwerfliche Gewalt zu definieren und damit Unrecht seien, waren sich die acht Verfassungsrichter in Karlsruhe nämlich nicht einig. Vier von ihnen waren immerhin der Meinung, daß die Strafgerichte die Sitzblockaden in der Regel nicht als verwerfliche Nötigung qualifizieren“ dürfen. Die Gerichte konnten daher freisprechen und sich auf die vier „Plus-Richter“ beziehen. Vier Oberlandesgerichte entschieden danach in letzter Instanz mit Freispruch.
Die Friedensbewegung begann die Gerichte von unten her aufzurollen. Das wurmte Justizminister Engelhardt. Deshalb gab der FDP-Minister eine Änderung des Nötigungsparagraphen 240 in Auftrag. Nach dem BGH-Beschluß vom Mai 1988 glaubte er freilich, diesen Änderungsentwurf beruhigt in der Schublade lassen zu können.
„Es braucht schon Zivilcourage, um freizusprechen, besonders in Bayern“, stellt Anwalt Niepel fest. Die jedoch fehlte anscheinend dem Richter Weidenkaff. Der junge Richter quälte sich einen Kompromiß ab: Karl W. wird verwarnt. Die zehn Tagessätze zu je 25 Mark setzt der Richter auf zwei Jahre Bewährung aus. Doch mit dieser merkwürdigen Bewährungsstrafe ist die Sache für den engagierten Friedenskämpfer noch nicht erledigt. Karl W. soll auch noch die gesamten Gerichtskosten bezahlen.
Hier jedoch hakt Anwalt Niepel ein. Das Gerichtskarussell habe sich für den inzwischen zum Clown und Nachtwächter umgesattelten Münchner nur deshalb so lange gedreht, weil die Rechtssprechung völlig durcheinander geraten war. Außerdem mußte das Bayerische Oberste Landesgericht im Fall Karl W. bereits eine Schlappe einstecken. Nachdem sein damaliger Rechtsanwalt Verfassungsbeschwerde eingereicht hatte - Karl W. war wegen Teilnahme an der Osterblockade 1983 in Neu-Ulm gegen die PershingII verurteilt worden - hob das BVerfG die Urteilssprüche als verfassungswidrig auf. Soll er jetzt auch noch dafür bezahlen, daß die Justiz gespalten ist? „Hier wird auf dem Rücken eines Bürgers die Auseinandersetzung der Gerichte über die richtige Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs ausgetragen“, wettert dann auch der engagierte Anwalt, der selbst Mitglied der Friedensbewegung ist. Niepel hat deshalb gleich eine Gesetzesinitiative zur Änderung der Strafprozeßordnung vorbereitet. Sein Vorschlag: Die Staatskasse soll zahlen.
Doch davon wird Horst Esser, ein weiteres Mitglied der Münchner Friedensbewegung, noch nicht profitieren. Ihm drohen sechs Monate Beugehaft, weil er die Zahlung von Gerichtskosten verweigert.
Manchmal jedoch kommt es selbst vor bayerischen Gerichten zu unfreiwilliger Komik. So etwa in dem Fall, in dem Rechtsanwalt Niepel selbst vor Gericht steht. Er hatte nämlich zusammen mit anderen Mitgliedern aus der Münchner Friedensbewegung Flugblätter verteilt, die zum Protest gegen das amerikanische Giftgasdepot Fischbach aufriefen. Staatsanwalt Greetfeld war sich seiner Sache so sicher, daß er vergaß, das besagte Flugblatt zu den Akten zu legen. Und so mußte der Rechtsanwalt freigesprochen werden, weil das Beweisstück fehlte.
Soviel Glück wird Martha Müller, sie verteilte ähnliche Flugblätter, wahrscheinlich nicht haben. Aber auch in ihrem Fall tut sich Merkwürdiges. Wegen Arbeitsüberlastung sagte der zuständige Richter ihre für den 23.Januar anberaumte Verhandlung kurzfristig ab. Einen Tag vor dem Termin teilte er ihrem Verteidiger mit, daß die Verhandlung verschoben werde. Eine solche Begründung ist höchst ungewöhnlich. Möglicherweise war dem Richter, der für den umstrittenen, erkrankten Richter Bernd Bremer einspringen mußte, der Termin unangenehm.
Durch das alles beherrschende Thema Wiedervereinigung besteht für die Friedensbewegung die Gefahr, ins politische Abseits gedrängt zu werden. Doch die Rüstungsgegner resignieren nicht. Als nächsten Schritt werden Sitzdemonstrationen in ganz Europa diskutiert. Gleichzeitig soll in der DDR gegen die sowjetischen Atomwaffen, in der BRD gegen die amerikanischen und in Frankreich gegen die französischen nuklear bestückten Raketen protestiert werden. Nach DDR-Recht sind solche Sitzdemonstrationen nämlich nicht strafbar. Damit hätte die Friedensbewegung nicht nur das uralte Argument entkräftet, einseitig allein die USA anzuprangern, sondern auch eine Möglichkeit, das Demokratie und Strafrechtsverständnis beider deutschen Staaten gegenüberzustellen. Vielleicht zeigt sich ja, daß nicht nur immer „die da drüben“ lernen können, was Demokratie ist.
Bis dahin jedoch wird das Thema „Sitzblockaden“ nochmals das Verfassungsgericht und damit die bundesdeutsche Öffentlichkeit beschäftigen. Die Verfassungsbeschwerde des Münchner Rechtsanwalt Hartmut Wächtler hat nämlich bereits den sogenannten Dreierausschuß, ein Gremium, an dem fast 80 Prozent der eingereichten Verfassungsbeschwerden scheitern, passiert. Hier geht es um den Fall der Altenpflegerin Ingrid K.: Sie wurde mit einem „Bumerangurteil“ des umstrittenen Richters Bremer freigesprochen.
Wie üblich hat der Bayerische Oberste Gerichtshof das rechtsfehlerhafte Urteil aufgehoben. Doch die Richter beließen es nicht dabei. Zusätzlich verkündeten sie: Ingrid K. ist schuldig. Die nächste Watschen aus Karlsruhe ist den bayerischen Richtern so gut wie sicher.
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