Bonns Devise: Wahlsieger ist, wer die DDR erobert hat

Wolfgang Ullmann, Minister für die Bürgerbewegung „Demokratie jetzt“, beurteilt die Politik der Bundesregierung als wahlkampftaktisch motivierte Destabilisierung der DDR / Das Kabinett Modrow hofft, daß Bonn zu den diplomatischen Gepflogenheiten zurückkehrt  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Minister Ullmann, hält die Regierung Modrow bis zum 18. März durch?

Wolfgang Ullmann: Ich gehöre zu denen, die sich anstrengen, daß die Regierung durchhält. Doch viel wird in dieser Frage vom Ausgang der Verhandlungen in Bonn abhängen, auch von einer Klarstellung, unter welchen Bedingungen wir dort überhaupt verhandeln werden.

In Bonn wird ja mittlerweile schon nicht mehr über die Überlebenschancen der Regierung Modrow bis zum 18. Mai spekuliert, sondern über die Chancen der DDR, den Wahltermin noch zu erreichen. Das Kanzleramt lanciert mittlerweile Informationen, denen zufolge man diese Chancen als nicht sehr hoch einschätzen kann.

Ich würde in diesem Zusammenhang schon nicht mehr von Bonner Spekulationen sprechen, sondern von einer politischen Taktik, die darauf hinausläuft, alle Bemühungen der DDR -Regierung, ein normales Leben im Lande aufrechtzuerhalten, zu paralysieren.

„Demokratie jetzt“, die Bürgerbewegung für die Sie im Kabinett Modrow sitzen, hat am Wochenende als Reaktion auf die Bonner Gerüchte eines angeblichen Wirtschaftskollapses der DDR eine Erklärung verabschiedet, in der die Währungsunion als Vorbereitung einer Zwangsvereinigung bewertet wird. Sie unterstellen eine gezielte Destabilisierungspolitik der Bundesregierung. Ist das nicht etwas überzogen?

Das ist in gar keiner Weise eine Übertreibung. Auch im Kabinett hat man die Propagierung der Währungsunion über die Medien als grobe Verletzung aller diplomatischen Regeln bewertet.

Offensichtlich ist die Bundesregierung nicht mehr bereit, auf der Grundlage der bisherigen Vereinbarungen zu verhandeln. Bisher galt, daß vor den freien Wahlen keine Fakten geschaffen werden sollen. Die neue Situation besteht darin, daß ohne Umschweife erklärt wurde, daß die Währungssouveränität der DDR aufgehoben werden soll.

Im unserem Kabinett geht man davon aus, daß es sich hier um ein Wahlkampfmanöver handelt. Nach den jüngsten Wahlprognosen, die der SPD eine deutliche Mehrheit voraussagen, glauben die Bonner Parteien CDU/CSU offensichtlich, nur noch durch einen solchen Finanzschlag gleichziehen zu können.

Die Wahlkampfstrategie, die dahinter steht, lautet: Sieger ist, wer die DDR erobert hat.

Welche Gegenmaßnahmen werden denn in der Ostberliner Regierung erwogen?

Wir gehen im Kabinett noch von der Hoffnung aus, daß auch die Bundesregierung wieder zu diplomatischen Gepflogenheiten zurückkehrt und uns nicht wie die Regierung eines Landes behandelt, das nach einem verlorenen Krieg vor der Kapitulation steht. Wir werden auf der Basis der bisherigen Vereinbarungen verhandeln: Währungsunion nur im Sinne einer schrittweise zu realisierenden Konvertibilität der DDR -Mark.

In den letzten Wochen hat sich der Eindruck verfestigt, daß die Regierung in Ost-Berlin dem Bonner Druck nur schwer etwas entgegensetzen kann. Hinzu kommt, daß die Strategie des „schnellen Anschlusses“ auch in breiten Teilen der Bevölkerung vehemente Unterstützung findet. Hat das Kabinett überhaupt noch Handlungsspielraum?

Das ist die ganze Schwierigkeit unserer Situation. Ich denke, die Schwäche der Regierung hängt auch damit zusammen, daß sie bisher leider jedem Druck nachgegeben hat, von wo auch immer er kam. Sie hat dem Druck innerhalb des Landes nachgegeben, statt eine eigene Initiative zu ergreifen. Und sie hat leider auch jedem Druck nachgegeben, der von Bonn ausgeübt wurde. Demgegenüber führte zum Beispiel der Brief von Konrad Weiß von „Demokratie jetzt“ an den Bundeskanzler, in dem auf die Problematik vertraglicher Vereinbarungen vor den Wahlen verwiesen wurde, zu einer Änderung der Bonner Verhandlungsstrategie. Das wurde akzeptiert. Ich hätte mir gewünscht, die Regierung Modrow hätte damals schon in ähnlicher Weise reagiert.

Gesetzt den Fall, die Bundesregierung behält ihren Kurs gegenüber der DDR bei und findet nicht mehr auf den Boden diplomatischer Spielregeln zurück. Wie wird sich die Regierung Modrow dann verhalten?

Vielleicht sollte sie in diesem Fall zurücktreten. Dann könnte die Bundesregierung gleich die Regierung dieses Landes mitübernehmen. Denn die Verantwortung der Bonner Politik der letzten Tage sind wir nicht bereit zu übernehmen.

Abgesehen von den vielfältigen Schwierigkeiten, die dieser hypothetische Fall mit sich brächte, wäre dann ja die Bonner Strategie der bedingungslosen Übernahme aufgegangen?

Ich denke, das wäre sicherlich kein Ruhmesblatt für die Bundesregierung. Die Frage wäre natürlich auch, wie eine solche Politik im Ausland, insbesondere in der Sowjetunion bewertet werden würde.

Interview: Matthias Geis